Friedensdienst in einem palästinensichen Dorf

Ekkehard Drost, ehemaliger Lehrer der Goetheschule, arbeitet drei Monate in Palästina für den Weltkirchenrat

Seit dem 3. Februar ist Ekkehard Drost, ehema­liger Lehrer der Goetheschule, wie bereits 2011, für drei Monate in Palästina. Dort sind 31 Frei­willige aus aller Welt und arbeiten für die Organi­sation EAPPI im Auftrag des Weltkirchen­rates, um Menschenrechtsverletzungen zu beobachten, den gewaltfreien Widerstand gegen die Besatzung zu unterstützen und damit langfristig zu einem Verständnis zwischen beiden Völkern beizutragen.

Einbeck. Zu Beginn seines Aufenthalts konnte Drost in Jerusalem an der Demonstration der israelisch-jüdischen »Women in Black« teilnehmen; sie treffen sich jeden Freitag von 13 bis 14 Uhr am belebten Paris Square in West­jerusalem, unterstützt von den Freiwilligen des  Jerusalem-Teams, halten ihre Schilder »Stop the occupation« hoch und diskutieren mit Passanten. Vor zwei Jahren hatte Drost an gleicher Stelle noch recht moderate Gesprächspartner – in diesem Jahr war nicht nur er mit entschiedeneren und schärferen Auseinandersetzungen kon­frontiert. »Warum lieben Sie die Araber? Sie sind alle Terroristen!«, begann ein älterer Herr das Gespräch mit Drost, um ihm danach vorzuwerfen, es gäbe überhaupt kein Recht, sich in Israels Angelegenheit einzumischen. Drosts Einwand, »wir arbeiten hier auf der Seite derjenigen, die unter Menschenrechtsverletzungen zu leiden hätten«, ließ er nicht gelten: »Israel steht ja überall auf der Welt am Pranger.«

Anders als bei den Diskussionen am Paris Square traf der ehemalige Einbecker Lehrer in einem Filmtheater nach dem Besuch des er­schütternden Dokumentarfilms »The Gatekeepers«, der am 5. und 6. März auf Arte beziehungsweise der ARD gezeigt wird, auf Israelis, die spontan zu einem Gespräch über ihre Eindrücke bereit waren. »Glauben Sie, dass dieser Film dazu beitragen kann, die israelische Ge­sellschaft wach zu rütteln«, fragte Drost ein älteres Ehepaar. Sehr nachdenklich antwortete man, dass dies wohl nicht direkt durch den Film geschehen werde. Wenn aber der Film im Ausland gezeigt wird, sei es schon denkbar, dass dadurch Druck auf Israel entstehe. Denn die Interviews im Film seien ja mit den höchsten Offizieren des Geheimdienstes Shin Beit ge­führt worden, nicht mit irgendwelchen »Lefties«, und sie zeigen, dass in den Verbrechen des Geheimdienstes System und Struktur stecke, diese also nicht auf das übliche »menschliche Versagen« zurück geführt werden können. Wie zur Entschuldigung verabschiedete man Drost mit den Worten: »Es sind nicht alle Israelis so.«In Drosts Einsatzort Jayyous, in dem er be­reits 2011 drei Monate verbracht habe und im September 2012 privat wieder besucht hatte, fing die eigentliche Arbeit an. Und die begann gleich mit einem leider sehr typischen Vorfall: »In der Nacht vom 11. zum 12. Februar rissen mich israelische Soldaten aus dem Bett. Ich hatte fest geschlafen und stand unter Schock, als ich die Soldaten in meinem Zimmer sah. Meine Mutter brachte mir meine Kleider und half mir beim Anziehen, weil ich am ganzen Körper zitterte. Die Soldaten zerrten mich aus dem Haus und banden mir draußen Plastikbänder um die Handgelenke. Die Arme musste ich hinter dem Körper halten. Einer spuckte mich an, und als ich dem ausweichen wollte, flog mein Kopf gegen die Wand, und ich holte mir eine Beule unter dem Auge. Jemand drückte mir einen Lappen ins Gesicht, die anderen schlugen auf mich ein. Dann wurden meine Augen verbunden und man schubste mich in einen Jeep.«

So beginnt das Protokoll, das der 13-jährige Mahmud dem Fieldworker der israelisch-pa­lästinensischen Menschenrechtsorganisation B´Tse­lem, Abdulkarim Sadi aus Tulkarem, gab. Obwohl unser Nachbarort Azzun zum Zentrum der Verhaftungen von Jugendlichen in der Westbank geworden ist, ist dieser Fall doch so gravierend, dass Abdulkarim Sadi unmittelbar nach dem Geschehen vom kommunalen Beauftragten für »Kinder unter Arrest« in Azzun, Hassan Shubaita, gebeten wurde, alle mög­lichen rechtlichen Maßnahmen einzuleiten. Die Freiwilligen von EAPPI forderte er auf, die Öffentlichkeit in ihren Heimatländern zu informieren. Hassan zitiert aus seinen Notizen: »Im Februar 2013 sitzen 58 Kinder und Jugendliche aus der 9.000 Einwohner zählenden Gemeinde in israelischem Arrest, im gesamten Jahr 2012 waren es 150, über 90 Prozent davon unter 16 Jahren.« Dies ist ein klarer Verstoß gegen die UN-De­klaration für die Rechte des Kindes, die auch von Israel unterzeichnet wurde. Nicht nur das Militär begeht unvorstellbare Menschenrechtsverletzungen – ein weiteres Problem für das Alltagsleben der Palästinenser stellen die Siedler dar. Ihre Gewalt hat nach Aussage von Saul Takahashi, UN-Officer for the High Commission of Human Rights (OCHR), ebenso wie die Gewalt der Armee bei Demonstrationen erheblich zugenommen. 600 Fälle von Siedlergewalt gegen Palästinenser wurden im vergangenen Jahr registriert – mit unterschiedlichem Ausmaß, unter anderem: Autos abfackeln, Olivenbäume ausreißen, Moscheen beschmieren, Schul­kinder gewaltsam auf ihrem Weg zur Schule behindern. Die Zahl 600 ist nach Takahashi allerdings mit Vorsicht zu betrachten, denn viele Palästinenser haben Angst vor einer Anzeige, die dann bei der israelischen Polizei eingereicht werden muss; sie befürchten, dass ihnen als Konsequenz aus ihrem »unbotmäßigen« Verhalten ein Berechtigungsschein für die Arbeit in Israel oder ein eventuell erforderlicher Besuch in einem israelischen Krankenhaus verweigert wird. Aus der Sicht des UN-Officers besteht deshalb das größte Problem darin, dass etwa 90 Prozent aller Untersuchungen unter den Tisch fallen.

Auch das friedliche Dorf Jayyous ist nicht verschont geblieben: Am Abend des 17. Februar drang die israelische Armee in Jayyous ein und nahm den 17-jährigen Assad in seinem Haus fest, ohne den Eltern mitzuteilen, wohin sie ihren Sohn mitnehmen würden. Die Freiwilligen kümmerten sich am Vormittag des 18. Feb­ruar um diesen Fall und haben den »Prisoners Club« sowie die israelische Menschenrechtsorganisation Hamoked sowie das Internationale Rote Kreuz informiert.

Ein paar Tage später fuhr Drost mit seinem palästinensischen Freund Dr. Jehad Abbadi in dessen Heimatort Yabad, etwa zehn Kilometer südwestlich von Jenin gelegen, und genoss die umwerfende Gastfreundschaft in einer paläs­tinensischen Familie. Am Freitag versammelten sich die Frauen der Familien vor dem Haus in der Sonne und pellten von Thymian-Stengeln die Blätter ab, die, wenn sie gerieben und mit kleinen Kernen versetzt sind, das typische Ge­würz (Satar) bilden. Ab und zu machten sie Witze, versuchten, ihn in ihre Unterhaltung einzubeziehen und forderten ihn auf, im nächsten Monat wiederzukommen. Die Kinder spielten dazwischen, schleckten Eiscreme und Süßigkeiten – mit anderen Worten: Es war ein Idyll.

Die Männer gingen inzwischen zum Freitagsgebet in die Moschee. Nach ihrer Rückkehr nahmen sie Drost im Auto auf eine kleine Tour durch den Ort mit, hielten ständig mitten auf der Straße für ein Schwätzchen mit Passanten an und fuhren erst weiter, wenn das Hupen hinter ihnen nicht mehr aufhörte. Man fuhr zu einem Haus am Ortsrand, am Abhang gelegen mit wunderschöner Aussicht ins Tal. Dieses Haus, noch nicht ganz fertig, wurde von einem jungen Mann mit der üblichen familiären Unterstützung gebaut, weil er im nächsten Jahr heiraten will. Auf dem obersten Stock bewegte sich langsam eine Person. Bei genauerem Hinsehen stellte sich diese Person als israelischer Soldat heraus, der zusammen mit elf weiteren seiner Kameraden dieses Haus vor zwei Wochen be­schlagnahmt hat. Es dient seitdem als »Wachturm« für die Armee; ab und zu wird von dort Tränengas in die nahe gelegenen Häuser ge­schossen – für Kinder, Alte und schwangere Frauen ein Desaster. Wie lange die Armee dort bleiben wird, weiß niemand, denn die Armee hat es nicht für erforderlich gehalten, mit dem Be­sitzer zu sprechen. Yabad liegt in der »Zone B«, die nach dem Oslo-Abkommen von 1995 eine gemeinsame Verwaltung durch Israelis und Palästinenser vorsieht. Wie dies in der Praxis aussieht, zeigt die widerrechtliche, willkürliche und allen menschlichen Gepflogenheiten Hohn sprechende Maßnahme, die mich umso stärker berührte, als sie im völligen Kontrast zu dem stand, was Drost in Yabad bei meinen Besuchen, zumal eine knappe Stunde vorher, beobachtete. Ihm fiel dabei der Titel des letzten Buches von Evelyn Hecht-Galinski ein: »Das 11. Gebot: Israel darf alles.«

Bis Ende April werden Drost und seine Mitstreiter das Leben in dem Dorf begleiten, um danach in ihren Heimatländern in Vorträgen darüber zu berichten. Leser der »Einbecker Morgenpost« können gerne Drosts »Berichte aus Palästina« zugeschickt bekommen – E-mail: e1944drost@gmx.de.oh