Für Juden: »Ketten gesprengt« im »Königreich Westphalen«

1808 wurden Juden für kurze Zeit »vollberechtigte Staatsbürger« im Reich von Napoleons Bruder Jérôme

2008 jährte sich die Einführung des Emanzipationsgesetzes im »Königreich Westphalen« zum 200. Mal. Anlass für den Göttinger Historiker Peter Aufgebauer, sich damit zu befassen. Den für 2009 geplanten und dann verschobenen Vortrag zu diesem Thema holte er jetzt im Einbecker Geschichtsverein nach.

Einbeck. Der Professor vom Institut für Historische Landesforschung der Universität Göttingen brachte den Zuhörern zunächst die Situation zur Zeit der Aufklärung näher: 1781 hatte sich Christian Wilhelm Dohm, in Göttingen und Kassel ausgebildeter Jurist und Archivar, mit der Lage und der bürgerlichen Verbesserung der Juden auseinandergesetzt: Eingeschränkte Rechte, »kein Vaterland, fast keine Ehre« ermöglichten nur ein dürftiges Leben. Doch sei der Jude »mehr Mensch als Jude«. Könne dieser Eigentum, Ehre und Achtung erwerben, so würde das Vaterland einen dankbaren Patrioten gewinnen. Die Denkschrift erregte großes Aufsehen, auch in Frankreich. Dohms Thesen flossen 1791 in die Gesetzgebung der Revolution ein, die die uneingeschränkte Gleichstellung der Juden festlegte.

Dass nicht alle so progressiv dachten, erläuterte der Historiker am Beispiel des Göttingers Christoph Meiners, der 1789 Juden und Schwarzen die Rechte von Weißen und Christen absprach. Ebenso habe es bei den Juden Diskussionen um innerjüdische Reformen gegeben, »das Programm der Haskala, der jüdischen Aufklärung«. Ein berühmtes Symbol der Haskala sei die Bibelübersetzung von Moses Mendelssohn, »hochdeutsch, aber in hebräischen Buchstaben«.

Die Idee der Aufklärung brachte Israel Jacobson (1768 bis 1828), Braunschweigischer Hoffinanzier, 1801 dazu, eine Schule in Seesen zu gründen: Jüdische und christliche Kinder wurden gemeinsam unterrichtet. Verbesserung der jüdischen Lebensform durch Assimilation sei das Ziel gewesen.

Das war die Situation, als 1807 Napoleon für seinen Bruder Jérôme den Modellstaat »Königreich Westphalen« schuf. Kurze Zeit konnten die Juden glauben, ihre »Ketten gesprengt« zu haben: Das Dekret vom 27. Januar 1808 machte sie, nach französischem Vorbild, zu »vollberechtigten Staatsbürgern«. Im ersten Artikel wurden ihnen »dieselben Rechte und Freiheiten« zugesichert wie den anderen Untertanen. »Starke Worte« gegenüber dem Adel enthielt der dritte Artikel, der die Abgabenpflicht aufhob. 15.000 Juden jubelten. Eine Abordnung, angeführt von Jacobson, dankte Jérôme in einer persönlichen Audienz. Napoleon ging es jedoch nicht um Humanität. Er wollte Gleichbehandlung der Konfessionen zur besseren Kontrollierbarkeit.  Napoleon vermied alles, »was auch nur den Anschein einer Wertschätzung dieser verächtlichsten unter den Menschen erwecken könnte«. 

Am 17. März 1808 habe Napoleon für die östlichen Departements das »schändliche Dekret« erlassen, das die Handels- und Gewerbefreiheit einschränkte. Dieses wurde für Jérômes Reich jedoch nicht übernommen. Hier folgten eine Reihe neuer Gesetze und die Einführung des Code civil, dessen »Leitgedanken« die Gleichheit vor dem Gesetz, der Schutz des Privateigentums, die Trennung von Staat und Kirche und die freie Berufswahl waren. Wieder nach französischem Vorbild trat am 31. März 1808 ein Gesetz in Kraft, das die Religionsausübung der königlichen Kontrolle unterstellte. Als zentrale Religionsbehörde wurde ein jüdisches Konsistorium eingerichtet, geleitet von Israel Jacobson. Im Unterricht sollten Rabbiner Gesetzestreue vermitteln, besonders im Hinblick auf den Militärdienst. Weitere große Eingriffe in die Rechte der jüdischen Gemeinden bedeuteten die zunächst vor Zivilbehörden zu schließenden Ehen, die Einführung anerkannter Synagogen statt Bethäusern und die Konfirmation. Für neue Elementarschulen waren jüdische Lehrer im Religionsunterricht geplant, in den anderen Fächern christliche.

 Auch ein neues Namensgesetz, das die Juden verpflichtete, einen festen Beinamen als Familiennamen anzunehmen, kam: So wurden die Söhne von Elias Meyer zu Bernhard Meyerfeld, Jakob Elias Meyerstein und Hirsch Meyersberg. Meyer sei eine eingedeutschte Form von »Meir« und bedeute »erleuchtet«, erklärte der Professor, dem es, wie schon so oft im Geschichtsverein, gelang, das Publikum mitzuziehen.

All dies führte auch zu Protesten und Klagen, besonders die finanziellen Auflagen: Für die Unterhaltskosten des Konsistoriums sollte Göttingen mit 100 Familien 400 Reichstaler aufbringen, Einbeck mit 40 Familien 300. Der für Einbeck zuständige Syndikus Jakob Elias Meyerstein protestierte. Der Abgabenstreit zog sich über Jahre hin. Das Ende der napoleonischen Vorherrschaft 1813 bedeutete die Aufhebung aller, auch der Emanzipations-Dekrete. Es folgte eine »schrittweise Wiederannäherung an die Emanzipation«. 1812 erklärten die Preußen die Juden zu »Inländern und Staatsbürgern«.1831 baten die Braunschweiger Juden um Bürgerrechte. Doch erst 1842 kam es im Königreich Hannover zu einem Gesetz über die jüdischen Rechtsverhältnisse, das aber politische Rechte ausschloss. Rechtliche Gleichstellung kam erst 1848. Doch habe dies nicht zugleich die gesellschaftliche Anerkennung bedeutet, schloss Professor Aufgebauer. Die vollbesetzten Reihen in der Stadtbibliothek dankten mit viel Beifall.

Geschichtsvereins-Vorsitzende Dr. Elke Heege wies auf eine Zweitagesfahrt von Evelin Vollmer am 13. und 14. April nach Aachen und Bonn hin. Es gibt noch freie Plätze. Eine Dom-Besichtigung in Aachen und die Napoleon-Ausstellung in Bonn stehen auf dem Programm.des