Gegenwart und Zukunftsentwicklung beeinflussen sich

Gut besuchter Osterempfang des evangelisch-lutherischen Gesamtverbandes Einbeck mit Gastredner Professor Dr. Michael Jischa

»Wir subventionieren unseren Wohlstand auf Kosten der Umwelt, der Mitwelt und der Nach­welt« zitierte Professor Dr. Michael Jischa Klaus Töpfer, ehemaliger Leiter des UN-Um­welt­pro­gramms, beim Osterempfang des evangelisch-lutherischen Gesamtverbandes Einbeck. Unter­haltsam, tiefgründig und einnehmend sprach er über »Das Ende der Welt, wie wir sie kannten«.

Einbeck. Viele interessierte Besucher aus den unterschiedlichen Bereichen begrüßte Pastor Martin Giering in der Krypta der Münsterkirche St. Alexandri. Kurz nach Ostern, wo das Leben neu beginne, werde der Osterempfang durchgeführt, und er erfreue sich immer wieder großer Beliebtheit, erläuterte Giering. Erneut seien viele Bürger, die sich alle für das Wohl der Stadt einsetzen, gekommen, um einen interessanten Vortrag zu hören und die Möglichkeit zu nutzen, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Superintendent Heinz Behrends stellte Gastredner Professor Dr. Michael Jischa vor, der tiefgründig den Gästen des Empfangs das Thema »Das Ende der Welt, wie wir sie kannten« näher bringen wolle. Der im Harz wohnende Jischa sei ein besonderer Mann, auf dessen Ausführungen schon viele gespannt seien. Als Ehrenvorsitzender des Club of Rome, Mitglied in mehreren Forschungszentren, Gastprofessor an zahlreichen internationalen Universitäten und Mitarbeiter der Deutschen Stiftung Umwelt sei er ein Spezialist für die Fragen der Zukunftsbewältigung, und er habe sich außerdem als Mitglied im Kuratorium der Hanns-Lilje-Stifung für den Dialog von Kirche, Kultur und Wissenschaft intensiv eingesetzt.

Jischa bedankte sich für die einleitenden Worte und er scherzte, dass er den Vortrag mit einem Handicap starten müsste, da die Messlatte bei den Zuhörern jetzt sehr hoch sei. Er erklärte, dass er mit den Zuhörern mindestens zweimal durch die Weltgeschichte reisen wollte, um ihnen »Das Ende der Welt, wie wir sie kannten« zu verdeutlichen.

Die Vorfahren der Menschen hätten einige 100.000 Jahre lang in einer Gesellschaft der Jäger und Sammler gelebt, bevor anschließend einige 1.000 Jahre lang die Agrargesellschaft folgte. Vor rund 200 Jahre habe dann die Industriegesellschaft begonnen, die vor etwa 30 Jahren von der Informationsgesellschaft abgelöst worden sei, deren dynamische Entwicklung im Rückblick stets unterschätzt wurde. Zusätzlich habe es vier »gutenbergische Revolutionen« gegeben, so Jischa.

Zuerst habe der Mensch die Sprache »gefunden«, um sich auszudrücken, gefolgt von der neolithischen Revolution in der Jungsteinzeit, die das Aufkommen von Ackerbau, Viehzucht und Vorratshaltung umfasse. Damit verbunden war auch die Anlage fester Siedlungsplätze sowie der erste Umgang mit Maßen, Zeichen und Schriften, die in Stein geritzt wurden. Es folgte Gutenbergs Erfindung der beweglichen Letter, die als langsamen Einstieg in die wissenschaftliche und industrielle Revolution erachtet werden könne.

Als letzte gutenbergische Revolution habe die Digitalisierung der Informationstechnologien erst vor wenigen Jahrzehnten begonnen. Deren Entwicklung verdeutliche täglich, dass technische Innovationen in immer kürzeren Zyklen neue Produkte generieren. Schon der Philosoph Hermann Lübbe habe von der »Gegenwartsschrumpfung« gesprochen, bei der durch die Zeitdauer konstanter Lebens- und Arbeitsverhältnisse die Gegenwart ständig abnehme. Als Folge der beschleunigten Dynamik des technischen Wandels rücke die unbekannte Zukunft immer näher an die Gegenwart heran und es müssen immer mehr zukunftsorientierte Entscheidungen gefällt werden, deren Erfolg und Tragweite nicht abzusehen seien.

Eine Welt, in der die 20 Prozent der Reichen immer reicher, weniger und älter werden sowie 80 Prozent der Ressourcen verbrauchen, während die 80 Prozent der Armen ärmer, mehr und jünger werden, könne politisch nicht stabil und beständig sein. Gemäß des Cocker-Theorems: »Wir können immer mehr wissen und wir wissen auch immer mehr. Aber eines werden wir niemals wissen können, nämlich was wir morgen wissen werden, denn sonst wüssten wir es bereits heute«, müsste der Wertwandel politisch hinterfragt, die Lücke zwischen Schwellen- und Industrieländern verringert, die erneuerbaren Energien gefördert und das Gegenwartsbewusstsein contra Zukunftsorientiertheit gefördert werden. Pessimistische Utopien, wie in George Orwells Werk »1984«, in dem Film »Fahrenheit 431« oder Aldous Huxleys Roman »Brave new World« prognostiziert, gebe es viele, so dass es wichtig sei, sich der »Welt« zu stellen, denn »wer die Natur verstehen will, muss ihr gehorchen.« Weiter wisse auch keiner, ob es früher den Großeltern besser gegangen sei oder ob die eigenen Enkel mal in Zukunft positiver leben werden.

Katastrophen wie in Tschernobyl oder Fukushima könnten immer wieder passieren, da »große technische Systeme zu normalen Katastrophen« neigen. Meist gebe es für die Unfälle nicht nur einen Grund, sondern eine Abfolge von Problemen, die sich dann summierten. 1986 habe der Chemieunfall in der Schweiz bewiesen, dass solche Unfälle auch »bei uns« in hochindustriellen Staaten passieren könnten. Weiter gebe es Klimawandel, Ozonloch, Waldsterben und die Endlichkeit der Ressourcen, da die Folgen der technischen Entwicklung von der Agrargesellschaft über Wassernutzung, Kohle-, Stahl-, Erdöl- und Erdgasnutzung bis hin zur Atomkraft früher kaum eingeschätzt werden konnten. Erschwerend sei der primäre Energieverbrauch der Erdbewohner um vieles größer als der Menschenzuwachs, so dass dringend nachhaltig gehandelt werden müsse. Um dem »Ende der Welt, wie wir sie kannten« entgegenzuwirken, gebe es zwei Strategien, die Verringerung des Unvermeidbaren (Klimawandel und Anstieg der Meeresspiegel) und die Vermeidung des unbeherrschbaren (Abschaffung der Kohlendioxid-emissionen).

Jischa prognostizierte, dass die Menschheit am Vorabend einer radikalen Denk- und Energiewende stehe, deren Chancen und Risiken auf globaler, nationaler und regionaler Ebene diskutiert, ein Mix aus zentralen und dezentralen Einrichtungen auf verschiedenen Kontinenten eingerichtet sowie der nachhaltige Umgang mit Natur, Ressourcen und Werten vorangetrieben werden müssen.

Da Deutschland in der Klimapolitik und bei den erneuerbaren Energien weltweit eine Vorreiterrolle habe, müsse gemäß Klaus Töpfers Aussage »Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn nicht wir, wer dann?«, dringend die Nachhaltigkeit gefördert werden, auch von jedem Bürger selber, schloss Jischa seinen Vortrag, für den er viel Applaus bekam, wie auch Lorenz Michalek und Kantorin Ulrike Hastedt, die die Veranstaltung musikalisch umrahmten.mru