»Grund-Rochus« auf die Bewohner des Dorfes

82-jähriger früherer Bewohner einer Einbecker Ortschaft vor Gericht: Bedrohung, Beleidigung, Nötigung

Einbeck. Der 82-jährige Angeklagte ist bereits mehrfach wegen ähnlicher Taten verurteilt; nun steht er erneut wegen Bedrohung, Beleidigung, Nötigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung vor Gericht, begangen möglicherweise im Zustand verminderter Schuldfähigkeit. Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Bewohner eines Einbecker Ortsteils vor, verschiedene Personen bedroht zu haben. »Ich steche dich ab« soll gefallen sein im Zusammenhang mit dem Fuchteln mit einer selbstgebastelten Stichwaffe. Eine Nachbarin soll er angeschrieen und bedroht haben, in der Polizeistation Kreiensen drohte er an: »Ich zieh’ dir einen über«, und trotz Hausverbots bedachte er die Mitarbeiterinnen im Bürgerbüro Kreiensen mit Beleidigungen. Einen Geschäftsmann soll er mit einem Stock bedroht und eine Kopfplatzwunde zugefügt haben.

Der Pflichtverteidiger des Angeklagten verlas zunächst eine mit seinem Mandanten und dessen Betreuer formulierte Aussage, wonach er die einzelnen Vorgänge vor Augen habe, die Gründe aber nicht. »Ich habe völlig überreagiert«, ließ er verlesen. Die Taten räume er vollumfänglich sein, und er bedauere sie. Seit Jahren nehme er Medikamente, deren Nebenwirkungen ihn äußerst gereizt machten. Er reagiere aggressiv und mit Entgleisungen auf äußere Einflüsse.

Eine neue Therapie, die er seit mehreren Wochen absolviere, sei segensreich. Er wolle ein normales, ruhiges Leben führen. Solche Vorfälle werde es nicht wieder geben – sprach’s und verkehrte mit wenigen Sätzen das sorgfältig ausformulierte Papier ins Gegenteil: Man habe ihn abgepasst, die Zeugen hätten sich abgesprochen, er sei misshandelt worden, und da sei er ausgerastet. Die Anschuldigungen seien gelogen, die Vorfälle hätte es nicht gegeben, »das schwöre ich bei Gott.« Erst nach mahnender Ansprache seines Anwalts beruhigte er sich.

Die einzelnen Vorfälle sollen sich zwischen Mai 2016 und Juli 2017 ereignet haben. Lautes Geschrei, Beleidigungen, Drohungen, das habe die Erscheinung des Rentners im Ort begleitet, sagten viele der elf Zeugen. Er sei schnell in Rage geraten. »Die meisten sind ihm aus dem Weg gegangen«, stellte ein 51-Jähriger fest, den er mit einer Stichwaffe bedroht haben soll. Mal habe man ihn anders erlebt, aber dann gab es wieder »Dasselbe in Grün«. Dabei sei er früher »herzallerliebst« gewesen, und wie auf dem Dorf üblich, habe er sogar »Onkel« zu ihm gesagt. Aber seit zehn, zwölf Jahren sei die Situation anders. »Vorfälle gab’s öfter«, sagte ein anderer Zeuge. Der 49-jährige bestätigte, es sei laut gewesen, wenn der Angeklagte durch den Ort gegangen sei, schreiend, singend, mit Geläut einer Kuhglocke, und was er gesungen habe, etwa gegen den Bürgermeister, das seien »keine netten Lieder« gewesen. Er sei »Komiker und Sänger und verschiedenes mehr«, kommentierte der Rentner seine Auftritte. Er sei stets aufbrausend gewesen, so die Zeugen, die Beschimpfungen seien immer schlimmer geworden. »Da hat das ganze Dorf drunter gelitten.« Bei manchen habe sich richtiger Hass aufgebaut. Einige hätten ihn provoziert, und er habe einen »Grund-Rochus« auf die Bewohner des Ortes gehabt, aus dem er inzwischen weggezogen sei. Seither sei es ruhig geworden.

Mehrere Zeugen haben den Angriff mit einem Zwei- oder Dreizack, ganz sicher war man da nicht, beobachtet. Nach dem Vorfall war der streitbare ­Senior kurzzeitig in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Psychische Stö­rungen und Demenz wurden festgestellt. Er wurde medi­kamentös behandelt. Eine ­Psychotherapie sei nicht möglich, hieß es, und er erhielt einen Betreuer.

Anfang des vergangenen Jahres soll er einer Aufforderung, die Polizeistation zu verlassen, nicht nachgekommen sein. Er wurde hinausgeführt, worauf er dem Beamten Schläge mit einem Regenschirm angedroht habe. Vernünftige Gespräche, berichtete der Polizist, seien nicht möglich gewesen.

Unter ihm zu leiden hatte auch eine Nachbarin, der er mit erhobener Zeitung drohte. »Einfach nur fürchterlich« fand die 34-Jährige diesen Umgang, sichtlich aufgewühlt. Sie habe ihren Alltag danach ausgerichtet, ob der Rentner zuhause gewesen sei oder nicht. Eine weitere Nachbarin bestätigte, nach anfänglich guter Nachbarschaft habe er seit einigen Jahren häufig im Treppenhaus geschrieen.

Fast tägliche Beschimpfungen hatten die Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung zu ertragen, trotz schriftlichen Hausverbots. Verunglimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen mit dem Gehstock: »Er hatte nie ein Anliegen, er wollte uns nur beschimpfen.« Mit den Jahren habe man eine Steigerung festgestellt. Gelegentlich hätten sie die Polizei gerufen, die für Ruhe gesorgt habe.

Über Jahre, »mal mehr, mal weniger«, hatte ein Geschäftsinhaber unangenehme Kontakte zum Angeklagten. Vor dem Laden sei er brüllend auf und ab gelaufen, habe ihn beleidigt. Nach einem Gerangel um einen Gehstock im Sommer letzten Jahres habe ihn, so der 59-jährige Zeuge, ein Schlag am Kopf getroffen. Die Platzwunde musste im Krankenhaus genäht werden. Provokationen seinerseits habe es, sagte der Zeuge, nicht gegeben, Wortgefechte schon.

Dass er Bauarbeiter in der Nähe kurz vor dem Vorfall gebeten habe, dem Senior eins mit der Schippe überzuziehen, räumte er ein: »Irgendwann hat man mal die Nase voll.«

Ein Polizeibeamter aus dem Nachbarort bestätigte, dass es sich bei dem Angeklagten um eine lautstarke, auffällige Person handele. Nach Körperverletzung, Beleidigung oder Bedrohung habe es dienstliche Kontakte gegeben, sagte der 59-jährige Beamte, in einem kleinen Ort schaukele sich das hoch. Am neuen Wohnort sei das ein paar Tage weitergegangen, seit einem Jahr sei aber Ruhe.

Wie die Vorwürfe angesichts einer mög­lichen krankhaften seelischen Störung zu bewerten sind, wird das weitere Verfahren zeigen, das Anfang Dezember fortgesetzt wird. Dann wird auch ein Sachverständiger dazu aussagen.ek