»Händel und das Königshaus Hannover«

Konzert im Biotechnikum der KWS / Kraftvolles Stimmengeflecht

Händel-Festspiele gibt es in Göttingen seit 90 Jahren. Im Zentrum dieser Aufführungen stehen die Werke eines der bedeutendsten Komponisten; weit Bekanntes wird aufgeführt und oft neu interpretiert – so in diesem Jahr eine verloren geglaubte Fassung des »Messias« und das Oratorium »Judas Maccabäus«. Auch weniger Vertrautes aus dem umfangreichen Werk wird wieder entdeckt und vorgestellt – etwa Teile der kantatenartigen Komposition »Agrippina«. Weiter wird auch Musik aus Händels Umfeld aufgenommen, und nicht nur in Göttingen, auch im näheren Kreis um die Heimat der Festspiele gibt es Konzerte.

Einbeck. Vor vier Jahren gehörten Einbeck und das Biotechnikum der Kleinwanzlebener Saatzucht schon einmal zu den ausgewählten Orten, und in diesem Jahr gehörte Einbeck wieder mit dazu. Der große, helle Raum im Zentrum der Firma, dessen Höhe sich über drei Stockwerke erstreckt, ist nicht nur für wechselnde Ausstellungen moderner Kunst, die von der KWS gefördert wird, geeignet, sondern auch als Konzerthalle, wie das Festspielkonzert am vergangenen Donnerstag erneut deutlich machen konnte.

Der Abend stand unter der Überschrift »Händel und das Königshaus Hannover«. Händel hat sich zweimal (1710 und 1712) für mehrere Monate in Hannover aufgehalten, und der Kurfürst Georg Ludwig, der 1714 als »Georg I.« englischer König wurde, war sein Bewunderer und Förderer. Die Ausführenden im Biotechnikum waren: Miriam Feuersinger aus Grenzach-Whylen in der Schweiz (Sopran) und das auf alte Mu-sik spezialisierte Kölner Ensemble »CordArte« (Daniel Deuter und Margret Baumgartl, Violine, Elisabeth Wand, Viola da Gamba, und Markus Märkl, Cembalo).

Mit einer Sonate, die anonym überliefert ist, aber »wahrscheinlich von Johann Caspar Kerll (1627 bis 1697) stammt«, stellte sich »CordArte« vor: Nacheinander erklangen die beiden Violinen, und beide Stimmen umwanden sich in hochvirtuosen Tongirlanden; das Cembalo und die Game gaben ihnen Hintergrund und akkordische Abstützung. Dieser Beginn des Abends  zeigte, dass die Mitglieder von CordArte hochqualifizierte Instrumentalisten sind – und auch, dass es am Hannoverschen Königshof ein niveauvolles, beachtliches, anspruchsvolles und eigenständiges Musikleben gabe.

Mit »Singet dem Herrn ein neues Lied« und »Der Herr ist meine Stärke«, zwei geistlichen Liedern von Heinrich Schütz, stellte sich Miriam Feuersinger vor, deutlich artikulierend, zunächst etwas verhalten, dann aber in schöner Klangfülle und feinem Charme. Ihre Stimme bildete zusammen mit den beiden Geigen ein kunstvolles, ausgewogenes Stimmengeflecht.

Die Instrumentalstücke der sonst wenig bekannten Komponisten Agostino Steffani (1654 bis 1728), Giovanni Bononconi (1642 bis 1678) und Antonio Sartorio (1620 bis 1681) boten Musik aus dem stilistischen Umfeld Händels. Erwähnt seien die in ruhigen Klangflächen erblühenden langsamen Sätze aus den reinen Instrumentalstücken.Die Lieder erklangen nach der damaligen Gepflogenheit in Italienisch; das Programmblatt bot aber eine hilfreiche deutsche Fassung, so dass man gut verfolgen konnte, was die Musik ausdrücken sollte. Es ging um Sehnsucht nach der fernen Geliebten, um eine »launische und verstiegene Schöne«, der offenbar zwei Verehrer den Hof machten, und die beiden Gehör schenkte. Weiter um Trost und Schmerz, um Hoffnung und »Glut in Demut« – alles in der strengen Musiksprache des 17. Jahrhunderts, des frühen Barocks.

Nach der Pause, in der die gastgebende KWS mit Sekt, Fruchtsaft und kleinem Backwerk großzügig für das leibliche Wohl gesorgt hatte, schlossen sich zwei Kompositionen Händels an, eine Triosonate in der bewährten Weise, dass die beiden Violinen in virtuosen Melodien über dem »Continuo« erklangen, und dann als Abschluss eine umfangreiche Partie aus Händels »Agrippina«, einem hochdramatischen, längeren Werk für Sopran und Instrumente, nicht mit den klangprächtigen, feierlichen und strahlend hellen Akkorden, wodurch sich Händels Musik ja sonst oft auszeichnet: In der »Agrippina« kommt die gesamte Palette hochbarocker Ausdrucksstärke bis hin zum ganz verhalten entschwindenden Pianissimo dramatisch zur Geltung. Das Werk ist in rezitativ-artige Teile, nur sparsam mit Akkorden unterlegt und in Arien gegliedert, der »unsterbliche Jupiter im Himmel« wird angerufen; er soll den bösen Tyrannen mit seinem Blitz erschlagen.

Der Tyrann ist aber der Sohn der betenden Agrippina. Hinter den aufgewühlten Hass-Gebetsklängen können aber doch immer wieder innige Muttergefühle aufscheinen – ein ungewohnter und wohl auch unbekannter Händel.Mögen Einbeck und das Biotechnikum auch weiterhin zu den Orten der Händel-Festspiele gehören.da