Heinrich Melchior Mühlenberg geht 1742 nach Amerika
Sohn eines Einbecker Ratsmitgliedes / Gefördert von Einbecker Lehrern / Studium in Göttingen / Prediger in Sachsen
Einbeck. Heinrich Melchior Mühlenberg wurde am 6. September 1711 in der Altendorfer Straße 30 in Einbeck geboren (das Haus brannte 1826 ab). Seine »Familie stammte aus Sachsen, litt aber viel unter den Drangsalen des Dreißigjährigen Kriegs, verarmte und zog nach Eimbeck in Hannover, damals Reichsstadt«. Mühlenbergs Eltern waren Nikolaus Melchior und Anna Maria Mühlenberg, die Tochter eines Offiziers im Ruhestand. Nikolaus Mühlenberg war Mitglied im Rat der Stadt. Als Heinrich zwölf Jahre alt war, starb der Vater. Mühlenberg musste die Schule verlassen und Geld verdienen. Doch einige Einbecker Lehrer erkannten das Potential des jungen Mannes und begannen ihn zu fördern, denn die »tiefe Frömmigkeit des Knaben und seine Lernbegier waren durch das Unglück nicht zu unterdrücken; sein gutes Betragen erweckte ihm bald Freunde, deren Unterstützung ihn seine ursprünglich ergriffene Laufbahn verfolgen ließ«.
»Herr Alberty auf dem Münster« brachte ihm das Orgelspiel bei. Auch bei Pastor Benckhardt von der Neustädter Kirche bekam er Unterricht. Kurze Zeit später hatte der junge Heinrich offenbar wieder genug Mittel, um die Schule besuchen zu können. Johann Schüßler, der Rektor der Ratsschule, erteilte ihm Privatstunden in Griechisch und Latein.So war es Mühlenberg möglich, sich am 19. März 1735 auf der gerade ein Jahr zuvor gegründeten Universität Göttingen als Student einzuschreiben.
Beim Theologen Joachim Oporin besuchte er Vorlesungen über Dogmatik und Moral und fühlte sich »zum ersten Mal am Gewissen gerührt, erweckt, und zur Sinnesänderung angewiesen«. Oporin machte ihn zu seinem Amanuensis (wissenschaftlicher Mitarbeiter). Dafür erhielt er freie Kost und Logis. Ein Jahr später konnte sich Mühlenberg gemeinsam mit zwei Kommilitonen eine Wohnung in Göttingen mieten. Die drei jungen Männer kauften Bücher und begannen, in ihrer Freizeit arme Göttinger Kinder zu unterrichten. Doch das wollten die Göttinger Prediger und Schullehrer nicht zulassen – sie verklagten die jungen Männer. Doch die Landesregierung entschied, »daß die gemeldete Anstalt unter der Aufsicht der theologischen Fakultät stehen sollte«. So entstand das Göttinger Waisenhaus. 1737 hatte Mühlenberg sein Studium in Göttingen beendet und ging nach Halle. Dort arbeitete er im Waisenhaus der Franckeschen Anstalten. Am 24. August 1739 erhielt Mühlenberg in Leipzig die Ordination und bekam eine Predigerstelle in Großhennersdorf in der Oberlausitz (»Diakonus zu Großhennersdorf bei Herrenhut«).
Gleichzeitig wurde er Inspektor des großen Waisenhauses der Baronin Katharina von Gersdorff. Die Baronin hatte sich nach dem Tod ihres Mannes auf ihr Gut Hennersdorf zurückgezogen und trat als Sponsorin von sozialen Projekten in Erscheinung. Ihre Tochter führte das Werk der Mutter fort und stiftete Teile des Guts, um den Katharinenhof, ein Waisenhaus mit 30 Kindern und einem Altersheim mit zwölf Plätzen für arme und alte Menschen zu gründen. Die Franckeschen Anstalten wurden 1698 von dem Theologen August Hermann Francke gegründet. Sieben Jahre später rief Francke die ostindische Mission mit dem Ziel, den Menschen dort den protestantischen Glauben näher zu bringen, ins Leben. Die Mission weitete ihr Aufgabengebiet später auch auf die nordamerikanischen Kolonien aus. Nordamerika war schon damals »das Land der unbegrenzten Möglichkeiten«. Viele Deutsche sahen keine Zukunft mehr in ihrer Heimat und machten sich auf die beschwerliche Reise über den »großen Teich«, um dort ein neues Leben zu beginnen. Die schwere Arbeit und »der tägliche Kampf ums Dasein« ließ für viele Menschen kaum noch Zeit für Religiosität und Kirchenbesuch. Dazu kam, dass die amerikanischen Kirchen zerstritten waren und sich unterschiedliche Glaubensrichtungen herausbildeten: »… Schwärme von Sekten und Sektirern, die zum Theil die Freyheit dieses Landes angelockt hatte, zum Theil aber erst hier die veränderte Denkungsart bekommen hatten. Es fehlte nicht an einigen selbst gelaufenen Lehrern von unserer Nation und Kirche; aber größtentheils dienten diese dazu, die Verwirrung vollkommen zu machen, und Herzen, die nicht durch Gnade festgemacht waren, zur Absonderung zu reizen. Es gab eine Zeit, wo sich ein ehrlicher Mann schämte, mit einem Deutschen Prediger allhier über die Straße zu gehen«.
Das traf auch für die Städte Neu Providence und Neu Hannover in Pennsylvanien zu. Vor 1742 gab es »keine regelmäßige Leitung und Seelsorge in der lutherischen Kirche von Pennsylvanien«. Mühlenberg war ein Schüler Franckes und hatte einen brennenden Eifer für das Heil seiner Brüder nach dem Fleisch«. 1742 erging von den drei amerikanischen Gemeinden »Philadelphia, Neuhannover und Providenz« ein Hilferuf nach Europa. Man suchte nach einem »ordentlichen und bewährten Lehrer«. Die Wahl fiel auf Heinrich Melchior Mühlenberg. Pennsylvanien war ursprünglich Indianerland. Hier lebten die Stämme der Irokesen und die Susquehanna. 1681 wurde dieses Gebiet vom englischen König Karl II. an William Penn, einem protestantischen Theologen, vergeben, der ab jetzt als Gouverneur regierte.
Mühlenberg nahm die Herausforderung an und am 28. November 1742 kam er nach einer »gefährlichen Küstenfahrt« in der Hauptstadt Philadelphia an. (Fortsetzung folgt).wk