90 Jahre AWO vor Ort

Hoffest am 5. Juli im Haus der Sozialarbeit geplant | Vielfältiges Engagement

Einbeck. Das Deutsche Reich ist nach dem 1. Weltkrieg zerstört, politisch instabil, wirtschaftlich und sozial ruiniert. Millionen Menschen sind in Not und hungern. Eine bisher nicht gekannte Massenverelendung in Deutschland fordert die Selbsthilfe und die praktische Solidarität vieler freiwilliger Helfer geradezu heraus. Mit der Gründung des Hauptausschusses für Arbeiterwohlfahrt am 13. Dezember 1919 bildet Marie Juchacz aus den verschiedenen Organisationen der Arbeiterbewegung eine sozialdemokratische Wohlfahrtsorganisation. Ziel der AWO war es, diese Not zu lindern, ihr vorzubeugen, Wohlfahrtsleistungen zu verbessern und moderne sozialpädagogische Methoden anzuwenden.

Doch die Notverordnungen dieser Jahre schränkten die Leistungen der Wohlfahrtspflege immer wieder drastisch ein. Die diskriminierende öffentliche »Armenpflege« sollte dennoch schrittweise durch eine moderne Fürsorgegesetzgebung überwunden werden. Meilensteine dieses Weges waren das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 und die Fürsorgepflichtverordnung von 1924. Letzteres war knapp fünf Jahre nach der Gründung der AWO auf Bundesebene auch in Einbeck der Anstoß, einen AWO-Ortsausschuss zu bilden. Dieser ging Anfang 1924 aus der kurz vorher gegründeten sozialdemokratischen Frauengruppe hervor. Zur ersten Vorsitzenden wurde Luise Grude bestimmt; ihr folgten Sophie Bube und Auguste Jünemann.

In den Notzeiten der 20-er Jahre entstand eine Vielzahl von Diensten und Einrichtungen der AWO: Nähstuben, Mittagstische, Werkstätten, Beratungsstellen. Viele sozialdemokratische Frauen und Männer wurden für einen sozialen Beruf ausgebildet. Die AWO forderte soziale Rechtsansprüche ein. Ihre Mitglieder hatten die verheerenden Notstände als Betroffene selbst zu bewältigen. Vorrangig galt es deshalb, der Massenverelendung mit praktischer Selbsthilfe zu begegnen. Welche Aktivitäten in Einbeck im Mittelpunkt standen ist nicht überliefert.Am 30. Januar 1933 kam Adolf Hitler an die Macht. Nur wenige Wochen später wurde die AWO von den Nationalsozialisten verboten und zwangsweise aufgelöst. Am 15. Juli 1933 erscheint die Ausgabe der Zeitschrift »Arbeiterwohlfahrt« mit dem Hakenkreuz. Der Beauftragte der Deutschen Arbeitsfront gibt ein Rundschreiben mit Anweisungen für die Umorganisation der AWO heraus. Darin hieß es, dass die Arbeiterwohlfahrt »so auszubauen ist, dass sie später als Vorbild dient für alle Wohlfahrtseinrichtungen«.

Doch dem Versuch, die Arbeiterwohlfahrt in die nationalsozialistische Volkswohlfahrt zu überführen, entzogen sich allerorten die Mitglieder, Helfer und Helferinnen, die Funktionäre der Organisation. Vermögen, Heime und Einrichtungen wurden deshalb für die nationalsozialistische Volkswohlfahrt beschlagnahmt. Führende Frauen und Männer der AWO wurden verfolgt. Die Arbeiterwohlfahrt hatte aufgehört, als Organisation zu existieren.Mit dem Ende des Krieges 1945, dem Zusammenbruch und der Teilung Deutschlands, begann der Wiederaufbau im von den Siegermächten besetzten Deutschland. Unmittelbar nach Kriegsende auch der Neubeginn und Wiederaufbau der AWO. Sie wurde 1946 in Hannover als parteipolitisch und konfessionell unabhängige und selbständige Organisation wieder ins Leben gerufen. So begannen Ende 1945 Auguste Jünemann, Gerda Eisfeld und Marianne Neumann in Einbeck mit dem Wiederaufbau. Auguste Jünemann blieb bis zu ihrem Tod 1982 Ehrenvorsitzende.

Von Mitte der 70-iger Jahre bis 1991 stand Hiltrud Deppe an der Spitze der Arbeiterwohlfahrt in Einbeck; von Februar 1992 bis Oktober 1998 war sie als Geschäftsführerin tätig. In dieser Zeit hat die AWO auch in Einbeck neue soziale Aufgaben übernommen, die im Wandel der Gesellschaft ihren Ursprung haben. Bereits im November 1977 startete in Einbeck der Menüservice »Essen auf Rädern«, um älteren Menschen den Verbleib in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung  zu ermöglichen. Inzwischen liefert die AWO täglich über 200 Mahlzeiten im Altkreis Einbeck und darüber hinaus.

Bis 1979 war die Geschäftsstelle in der Baustraße 24 untergebracht. Am 15. Januar 1980 erfolgte der Umzug in die Benser Straße 2. Mit dem Erwerb des Hauses der Sozialarbeit in der Grimsehlstraße 10 in Einbeck am 1. Juli 1987 hat die Arbeiterwohlfahrt in Einbeck eine großzügige Wirkungsstätte mit einer Vielzahl an ehren- und hauptamtlichen Aktivitäten. Seit 1983 besteht ein Kontakt- und Gesprächskreis für krebskranke Frauen. Am 5. April 1988 wurde die Krebsberatungsstelle eröffnet. Im März 1995 öffnete der Tagesaufenthalt »Billabong«, der sich um Obdachlose und sozial Benachteiligte kümmert.

Von 1992 bis 1997 übernahm Günther Kniest den Vorsitz, danach Herbert Buhrow. Seit Juli 1998 steht Rolf Hojnatzki an der Spitze des Ortsvereins. Die Geschäfte führte von Oktober 1998 bis April 2007 Ingrid Bertram; ihre Nachfolgerin ist seitdem Kerstin Droste.

Nach dem Zusammenschluss der AWO Kreisverbände im Landkreis Northeim am 28. Februar 1981 wurde der Ortsverein Einbeck gebildet. Er umfasst die Städte Dassel und Einbeck. Seit dem 12. Dezember 2008 ist der Ortsverein im Vereinsregister eingetragen. Mit der Fusion der Stadt Einbeck und der Gemeinde Kreiensen erstreckt sich die Zuständigkeit des Ortsvereins seit Januar2013 auch auf das Gebiet der ehemaligen Gemeinde Kreiensen.

Für ihr außerordentliches ehrenamtliches Engagement erhielten 2011 Ingrid Nagel die silberne Ehrennadel der Stadt Einbeck und 2013 Angelika Froböse die silberne Ehrennadel des Landkreises Northeim. 2012 ist Hiltrud Deppe für ihr Lebenswerk zur Ehrenvorsitzenden ernannt worden.Der AWO-Ortsverein Einbeck wird sein 90jähriges Jubiläum offiziell mit einem Hoffest und Tag der offenen Tür am Sonnabend, 5. Juli, im Haus der Sozialarbeit in der Grimsehlstraße feiern.oh