Im Märchen und in der Realität soll sich jeder wohlfühlen

Jugendkirche »marie« inszenierte »Tischlein deck dich« / Begeisterte Zuschauer bei der Premiere / Zum achten Mal Wintermärchen

Bei der Premiere von »Tischlein deck dich« in der Neustädter Kirche, dem »Wohnzimmer Gottes«, waren die Zuschauer begeistert, wie die 13 Akteure der Jugendkirche »marie« das Märchen darboten. Die Inszenierung überzeugte mit schauspielerischer Leistung, Wortwitz und Situationskomik, bei der auch die Besucher mit eingebunden wurden.

Einbeck. Der Inhalt des Märchens der Gebrüder Grimm ist bekannt: Ein Schneider lebt mit seinen drei Kindern und einer Ziege zusammen, die täglich auf die Weide muss. Auf der Wiese erklärt die Ziege nach dem Mahl: »Ich bin so satt, ich mag kein Blatt«, während sie dem Vater nach der Rückkehr sagt: »Wovon sollte ich satt sein? Ich sprang nur über Gräbelein, und fand kein einzig Blättelein«. Aufgrund dieser Aussage schickt der Vater nacheinander seine Kinder fort. Als er die Ziege dann selbst ausführt und sie auf der Weide und bei der Rückkehr unterschiedlich antwortet, erkennt er, dass er seinen Zöglingen Unrecht getan hat, er jagt die Ziege fort.

Die Jugendlichen absolvieren in der Ferne Lehren beim Schreiner, Müller und beim Drechsler, von denen sie Abschlussgeschenke erhalten. Während die Älteren ihre Präsente, einen Tisch, der sich von alleine deckt, und einen Esel, aus dem Goldstücke kommen, verlieren, kann der Jüngste die Präsente mit seinem »Knüppel aus dem Sack« wieder besorgen, so dass die Kinder frohen Mutes zu ihrem Vater zurückkehren können.

Bei der Inszenierung der Jugendkirche »marie« fungierten Fleur (Henrieke Conrad) und Frieda (Fiona Linne) als Erzählerinnen, die den Zuhörern in Klangschalenpausen die Geschichte und Vorkommnisse erklärten. Fleurs besondere Begabung, neben ihrem französischen Dialekt, war ihre Spiritualität. Sie suchte immer wieder ihre positive Mitte, selbst wenn sie selber unauffindbar war. Um die Geschichte zu begleiten, nahm sie auch die Stelle der Müllerin ein, und sie reiste durch den Märchenwald  mit Frieda, dem Erdmännchen, das ohne Essen nicht leben kann. Es roch förmlich Nahrung und litt Not, wenn keine auffindbar war, so dass es sogar ein Holzstück vernaschen wollte. Frieda »lieh« sich öfter Essen aus, da das Klauen verboten ist, und krümelte die Bühne und die Zuschauer voll, begleitet von treffender Gestik und Mimik.

Der Schneider Hagen Matterhorn (Marius Austin) verbrachte die meiste Zeit mit dem Nähen, auch wenn er farbenblind und schon etwas senil war. Er wunderte sich, warum seine wundervollen Kinder Leon (Mirko Baur), Lotte (Franziska Gabriel) und Emil (Sascha Behrens), ihn mit der Ziege enttäuschten, weshalb er sie fortschickte. Nachdem er den Irrtum feststellte, wünschte er sich, dass sie zum nahenden Weihnachtsfest zurückkehrten. Für Leon bestand das Leben aus Wissenschaft, lateinischer Sprache und Holz. Ihm waren Irren und Unwissen fremd, so dass er fast verzweifelte, als er das Brückenrätsel nicht lösen konnte. Viele Dinge hatte jeden Tag Lotte zu erledigen, die sich auch hingebungsvoll um Emil, ihren »kleinen Sonnenschein«, kümmerte. Sie wünschte sich, einmal die Brücke, die den Märchenwald mit der Welt verband, zu überschreiten. Emil verehrte seinen »Brudi« und seine »Schwesti«, da er als Jüngster in vielen Bereichen noch sehr naiv war. Beim Drechsler lernte er, eine Flöte herzustellen, die er ausgiebig und innbrünstig spielte, selbst wenn er keinen Ton traf. Er fand alles niedlich, auch die Ziege, doch freute es ihn, dass er seinen Geschwistern erfolgreich helfen konnte, den Tisch und den Esel zurück zu bekommen. Im Laufe der Geschichte verliebte er sich in Marie-Luise (Daria Börsing), die Tochter der Wirtin Maggi (Tabea Kreykenbohm). Das Mädchen arbeitete aushilfsweise bei ihrer Mutter im Gasthaus, und sie besaß das bessere »Händchen«, um großzügiges Trinkgeld zu erwirtschaften, auch mit ihrer Schönheit. Obwohl sie federführend für die Entwendung des Tisches und des Esels war, siegte am Ende die Liebe zu Emil, und sie wurde nach Rätsellösung in der Schneiderfamilie aufgenommen.

Für das »Böse« verantwortlich waren Maggi und die Ziege (John Deppe). Die Wirtin meinte, dass sie ein Auge für schöne Dinge habe, befragte auch das Publikum dazu »Hast du schon mal so etwas Schönes wie mich gesehen?« und hoffte, dass sie bald das Haus des Schneiders als zweites Gasthaus bekommen könne. Helfen sollte die Ziege, die es nicht ertragen konnte, wenn sich Menschen zu Weihnachten Liebe, Geborgenheit und Aufmerksamkeit schenkten. Sie ekelte sich ausgiebig davor, und sie brachte es überzeugend pantomimisch wie auch sprachlich zur Geltung. Wie ein Wolf im Schafspelz, hier im Ziegenfell, setzte sie ihre magischen Kräfte ein, um die Rückkehr der Kinder für immer zu unterbinden. Sie verzauberte die Brücke, so dass diese nur nach der Rätsellösung wieder überschritten werden konnte, und »stöckelte« durch die Geschichte, da das ständige Kriechen unter ihrer Würde lag.

»Buon Giorno! Wollen lecker Essen haben«, für positive »Magic« waren Jan-Christoph Brockmann, Adrian Switakowski und Jan-Patric Ziegler zuständig. Die zauberhaften Wesen in entsprechendem Gewand traten immer nur zu dritt auf, und sie verzückten das Publikum mit italienischem Flair und Temperament. Zusätzlich verkörperten sie den Esel, den Knüppel und die umfangreiche kulinarische Vielfältigkeit des Tisches, bei dem sie zu jedem Essen die Zugabe von Zwiebeln wollten. Gesanglich passten sie sich der jeweiligen Stimmung an, und sie betonten, dass in jeder Situation »A kind of magic« nützlich sei.

Als Drechsler und als »Reiner Schreiner« agierte Philipp Neugebauer. Er kümmerte sich um kleine Reparaturen im Märchenwald, und er sorgte mit seiner Darstellung des älteren Schreiners und des sächselnden Drechslers für zahlreiche Lacher. Weiter hatte er mit Martina Nölting und Anne Arendt die Intendanz inne.Bei der Premiere begeisterten die Darsteller mit Wortwitz, Situationskomik und schauspielerischem Können. Wenn die Ziege sich imponierend bösartig gab und ausdrückte, die Wirtin im Publikum ihre Schönheit anpries oder Emil die Anwesenden mit seinem Flötenspiel »faszinierte« und ihm der Knüppel aus der Hand fiel, dann überraschten die Schauspieler immer wieder mit ihren überzeugenden Darstellungsformen. Selbst in der Pause behielten sie ihre Rollen bei, und sie sorgten damit für Kurzweil. Lotte träumte von der Vermarktung ihrer Erfindung, dem Croissant, während sich Leon an literarischen Ergüssen erfreute und Marie-Luise mit ihrer Schönheit kokettierte sowie schöne Hände pries. Der französische Dialekt von Fleur im Zusammenspiel mit der permanent hungrigen Frieda, die dauernd nach zusätzlichem Essen ihren Hals reckte, verzückte die Gäste ebenfalls, wie der sächselnde Handwerker, der immer verzweifelt werdende Schneider und die temperamentvoll agierenden »Magic«-Darsteller. 

Die Premiere war ein überragender Erfolg, bei dem jedes Detail zusammen passte, ob Bühnendekoration, Kostüme, Make-Up, Licht- und Soundtechnik, Inszenierung oder Schauspielerei. Diakon Holger von Oesen dankte allen Beteiligten für die wochenlange Vorbereitung, bei der »rund« 1.186 Stunden geprobt wurde, und er freute sich, dass das Theaterstück dem Publikum so gut gefallen hätte. Weiter erklärte er, dass die vom Ensemble musikalisch dargebrachte Aussage: »Zu Hause sind wir, wo wir uns wohlfühlen« vor allem in der vorweihnachtlichen Zeit sehr wichtig sei und von vielen ernst genommen werden solle.mru

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