Interessanter Erstauftritt der jungen Theatergruppe »Amanti«

»In the box« in der »TangoBrücke«: Rolf D. Bartels schreibt Stück zu Umgang mit Medien, voyeuristische Zuschauer und Selbstdarsteller

Das neue Theaterprojekt »Amanti« ist jetzt erstmals in der Einbecker Öffentlichkeit aufgetreten. Autor und Regisseur von »In the box« ist der bereits als Theatermann in der Löns-Realschule und mit der Gruppe »Crème frech« bekannte Rolf-D. Bartels. Er stellte nun acht neue Schauspieler vor, ehemalige Realschüler, die 17 bis 18 Jahre alt sind und sich in der »TangoBrücke« erstmals außerhalb der Schule vor Zuschauern zeigten.

Einbeck. Zu Beginn des Stücks agiert Bartels selbst als Publikumsbetreuer des fiktiven Fernsehsenders RTD 4 und übt mit dem amüsierten Publikum Applaus und Buh-Rufe ein. Er wird abgelöst durch Moderatorin Vanessa Geldermann (gespielt von Denise Hattenbach), die die Rahmenbedingungen eines neuen TV-Formats darlegt: Acht junge Menschen stellen sich zunächst in kurzen Videos vor (produziert von Friedrich-Carl Ostermann). Sie begeben sich dann »In the box« und bleiben dort 500 Tage, ohne Kontakt zur Außenwelt. Alle heutzutage üblichen Kommunikationsmittel stehen nicht zur Verfügung, die Gruppe ist ausschließlich auf sich gestellt. Das Publikum entscheidet, wer nach der langen Zeit eine Million Euro mit nach Hause nehmen darf.

In einem Casting ausgewählt, betreten sieben unterschiedliche Personen die Box, Personen, deren bisherige Lebensschicksale im Lauf des Stückes mehr und mehr zu erkennen sind.  Da ist zum Beispiel Viola, die ständig in verschiedene Rollen »switcht«. Einmal ist sie die Verkaufsleiterin eines Modelgeschäfts, dann unter dem Namen Nike eine Jet-Set-erfahrene Diva, schließlich als Alice ein verschüchtertes Kind, das »Geheimnisse« mit seinem Vater teilt, von denen es nichts mitteilen kann, Geheimnisse, die Spekulation bleiben müssen. Victoria Lachmann überrascht in dieser Rolle durch häufigen Stimmungswechsel und sorgt als angstvolle Alice für atemlose Stille im Publikum. Juliane Stahnke spielt außerordentlich textsicher die Rolle der Kira. Sie schwärmt für Ordnung und Sauberkeit, ist oft mit Putzen beschäftigt und kann ihre Auffassung energisch verteidigen. Aus der ruhigen jungen Frau wird im Lauf des Stücks eine immer wütendere Persönlichkeit, die sogar handgreiflich werden kann und Leo in den Staub des Fußbodens schickt.

Leo ist Hahn im Korb. Jan-Phlipp Ahrens spielt ironisch, augenzwinkernd, manchmal auch überrascht von den Ereignissen, vor sich hin meditierend und schließlich glaubwürdig enttäuscht den Sympathieträger, um den sich die vier Mädchen sammeln und den sie anhimmeln. Das sind Valeska (Sandra Kappei), die ständig verunsichert um sich blickt und nach verborgenen Feinden sucht, die sie vernichten möchte, und Siska (Larissa Römermann), das Partygirl, dem Äußerlichkeiten wichtig sind. Sie kann damit in der Gruppe immer weniger punkten und entwickelt sich zur Außenseiterin. Da ist Miri (Anastasia Lisizin), die immer mit viel Geld zu tun hatte. Man unterstellt ihr, sie sei wohl Bankerin, bis sich herausstellt, dass sie Kassiererin bei einem Discouter ist. Sie hat ein kleines Kind und muss lernen, dass Geld nicht der wichtigste Bestandteil des Lebens ist. Schwärmerei, Peinlichkeit, Unsicherheit, Verärgerung und Wut sind dem Spiel der jungen Schauspielerin durchaus beeindruckend zu entnehmen.

Alina wird gespielt von Rabea Scholz. Alina ist, ähnlich wie Leo, eine Sympathieträgerin, eher leise, zurückhaltend, immer freundlich und sozial. Sie zitiert klassische Gedichte, reimt aber auch selbst munter drauflos. Kein Wunder, dass sie und Leo ein Liebespaar werden. Dass Alina offensichtlich von einer Konkurrentin niedergeschlagen und dabei fast getötet wird, ohne dass die Zuschauer wissen, wer diesen Angriff durchgeführt hat, bringt eine neue Form von Gewalttätigkeit ins Spiel. Wie so oft ist das Schicksal unberechenbar. Es stellt sich heraus, dass Alina und Leo Halbgeschwister sind, ohne es zu wissen, so dass sich ihre Zukunftspläne schlagartig in Luft auflösen. Die Szene, in der sie sich gegen Ende des Stückes trennen, ist ergreifend. Die Darstellerin der Alina lässt im Publikum Betroffenheit, Stille und bei manchen auch feuchte Augen entstehen.

In der Schlussszene wird Viola als Angreiferin von Alina entlarvt. Eine Wärmebildkamera hat ihre Tat aufgezeichnet. Valeska aber war die Anstifterin. Sie hatte Violas Rolle als Alice, das Kind, ausgenutzt und sie als willenloses Werkzeug für eigene Zwecke missbraucht.

Wie weit gehen Medien, um Menschen an ihre Grenzen zu bringen, sie dabei voyeuristischen Zuschauern auszuliefern und damit die Quoten hochzutreiben? Wie entwickelt sich eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe, wenn sie über lange Zeit auf sich gestellt ist? Wie ändern sich Einzelpersonen, wenn sie stärker belastet werden als je zuvor? Was tun junge Leute, wenn sie den Gebrauch üblicher Kommunikationsmedien für lange Zeit völlig aufgeben müssen? Wie kommt man ohne die Selbstverständlichkeiten des gewohnten Alltags aus? Was fangen junge Menschen mit sich an, wenn sie ihrer eigenen Persönlichkeit gegenüber stehen? Wie gehen sie mit Vereinsamung um? Was tun sie, wenn sie ungewohnte Stille aushalten müssen, weil sie die Bilder- und Tonflut der normalen Welt nicht haben? Mit diesen Fragen konfrontierte der Autor Rolf-D. Bartels nicht nur die Zuschauer in der voll besetzten »TangoBrücke«, sondern auch seine Akteure. Auch sie wurden an ihre Grenzen geführt und wuchsen dabei zum Teil über sich hinaus. Kleinere Texthänger und Unbeholfenheiten im Spiel sind dabei eher unwesentlich, war es doch der erste Auftritt von »Amanti«. Im Hintergrund agierten hilfreich und sicher Arne Dorn als Techniker und Kimberly-Michelle Bartols als Souffleuse.

Das Publikum zeigte sich an zwei Abenden beeindruckt, weitgehend begeistert und sparte nicht mit Beifall. Die Gruppe hat ihr nächstes Projekt für September 2012 bereits angekündigt.oh