Junge Leute sollen bleiben, wandern und wiederkommen

Rückkehrförderung: Auftaktveranstaltung mit Referentin Professor Christiane Dienel / Heimat zum Orientierungspunkt machen

Die Region dünnt aus, eine Stadt wie Einbeck verliert jährlich zahlenmäßig die Einwohner eines ganzen Dorfes. Der Entwicklung muss man sich stellen, und man kann versuchen, sie mit verschiedenen Maßnahmen aufzuhalten Eine Möglichkeit ist die Rückkehrförderung: Junge Menschen, die Einbeck nach der Ausbildung verlassen haben, sollen animiert werden, sich hier wieder niederzulassen und auch eine Familie zu gründen. Wie das gehen kann, damit hat sich ein interfraktioneller Arbeitskreis beschäftigt. Hochschulpräsidentin Professor Dr. Christiane Dienel hat dazu referiert.

Einbeck. »Wir werden weniger, bunter und älter«, damit beschrieb Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek, den demografischen Wandel. Die Regionen seien von diesem Schrumpfungsprozess unterschiedlich stark betroffen – im Landkreis Northeim stärker als anderswo. Zwischen 2001 und 2020 wird die Einwohnerzahl um 15 Prozent zurückgehen, die Zahl der jüngeren Einwohner sinkt sogar um 20 Prozent. Jeder Dritte wird 2020 über 60 Jahre alt sein – mit gravierenden Folgen für viele Bereiche. Um den Generationenwechsel erfolgreich zu gestalten, seien Wirtschaft, Vereine, Parteien und viele weitere Institutionen gefragt, betonte sie. Da andere Kommunen ebenfalls vor dieser Situation stehen würden, gehe es darum, erfolgreiche Strategien zu entwickeln und Gestaltungschancen zu nutzen, um die Region als attraktiven Lebens- und Wirtschaftsraum zu stärken. Auf einen Antrag der CDU wurde ein interfraktioneller Arbeitskreis gebildet, der sich intensiv damit auseinander gesetzt hat. Ziel soll es sein, individuelle und passgenaue Strategien für Einbeck zu entwickeln. »Gestaltung des demografischen Wandels ist eine gemeinschaftliche Aufgabe«, machte Dr. Michalek deutlich, es gehe darum, die Heimat für die Zukunft zu rüsten. Heimat entstehe durch Verbundenheit, Anteilnahme und Mitwirkung. Der gute Besuch an diesem Abend zeige das starke Interesse am Thema, freute sich Initiatorin Heidrun Hoffmann-Taufall über den Zuspruch. Man dürfe sich nicht dem Schicksal ergeben, sondern müsse aktiv gegen Bevölkerungsrückgang sowie Fach- und Führungskräftemangel angehen. Man könne den demografischen Wandel nicht umkehren, aber man müsse das Ausmaß verringern, damit nicht bald eine Generation in Einbeck komplett ausfalle. Bildungswanderer mit Anfang 20 seien normal – sie müssten aber zurückkehren, damit sie nicht zehn Jahre später als potenzielle Eltern ausfielen – und in der Folge auch ihre Kinder. Und wenn die 30-Jährigen nicht zurückkehrten, seien ihre Eltern hier schneller auf institutionelle Hilfe angewiesen. Jugendliche, die sich in ihrer Stadt wohl gefühlt hätten, kämen eher wieder als andere, deshalb dürfe man sie nicht aus dem Blick verlieren, mahnte sie.

Dass das Thema in Einbeck erkannt wurde, sei ein wichtiger Schritt, lobte der Geschäftsführer von »Einbeck Marketing«, Frank Hagemann. Die Gründung des Arbeitskreises sei ein zweiter Schritt zu aktivem Handeln. Auch er, berichtete er, sei ein Rückkehrer, er habe seinen Arbeitsplatz in der Nähe seiner Familie haben wollen. Das, die Verbundenheit zu einer Stadt sowie die kurzen Wege seien wichtige Beweggründe, genau wie Erinnerungen und Freunde. Es sei nichts dagegen zu sagen, dass junge Menschen Einbeck für die Ausbildung verlassen würden, man müsse aber etwas dafür tun, dass sie zurückkämen. Stadtmarketing sorge für weiche Stand-ortfaktoren, die Wirtschaftsförderung sei ebenso im Boot, so dass es in diesem Bereich viele Schnittstellen gebe. »Wo stehen wir?«, diese Frage beantwortete Michael Neugebauer, Mitglied des Arbeitskreises, anhand von Zahlen. Die Bevölkerungspyramide habe sich innerhalb der letzten Jahrzehnte zu einem Dönerspieß gewandelt. Die Bevölkerungsrückgang sei in Niedersachsen fast durchweg negativ, genau wie die Wanderungsgewinne. Die Daten, die er für den Landkreis vorlegte, zeigten die Dramatik: Bis 2030 wird die Einwohnerzahl danach um 25 Prozent beziehungsweise 35.000 Bürger zurückgehen. Einbeck, Northeim und Osterode verlieren jährlich jeweils rund 300 Einwohner. Die Verluste könne man nicht aufhalten. Ein Problem sei auch, dass die Mitarbeiter in den Betrieben älter würden: Schon jetzt seien mitunter zwei Drittel 50 Jahre oder älter, sie gingen also in absehbarer Zeit in den Ruhestand. Auf den vielfältigen demografischen Wandel, so Neugebauer, gebe es verschiedene Antworten – eine davon sei die Rückkehrförderung.

»Rückkehrförderung – wie geht das und was bringt es«, über Erfahrungen aus anderen Bundesländern berichtete Professor Dr. Christiane Dienel, Präsidentin der Hochschule HAWK Hildesheim, Göttingen, Holzminden. Sie hat Studien zu Abwanderung und Rückkehrförderung durchgeführt, beispielsweise 2004 in Sachsen-Anhalt. Gezielt wurden Abwanderer angesprochen und nach ihren Gründen befragt. Häufig seien es bessere Arbeitsplätze gewesen, und Frauen seien ihrem Partner gefolgt, erläuterte sie. Außerdem ließ sich bei Abwanderern eine niedrigere Organisationsquote, etwa in Vereinen, Feuerwehren oder Kirchen, feststellen. Jenseits der 30 gebe es weniger Bereitschaft zu Abwanderungen; junge Frauen seien früher dazu bereit und außerdem mobiler als Männer. Bei Männern sei die Rückkehrbereitschaft aber wieder höher als bei Frauen. Rückwanderer, warnte sie, könne man nicht packen und zurückzerren, sondern das Selbst-bewusstsein einer Region müsse sich verändern. So sei es hilfreich, das Thema Kindheit anklingen zu lassen. Für die »Magdeburger Heimatschachtel« hätten Interessierte der Stadt »die Bude eingerannt«, sie sei zum Symbol für gelungene Erinnerungen geworden. Darin befand sich viel Symbolisches, und so konnten Magdeburger, die erst kürzlich abgewandert waren, die Verbundenheit zu ihrer Stadt wahren. »Heimat hat einen anderen Ton bekommen«, stellte die Wissenschaftlerin fest. Man wolle zeigen, dass Heimat wertvoll sei, und mit gezielten Bausteinen lasse sich das fördern und regional stärken.

Ziele für Rückkehrförderung seien beispielsweise wirtschaftlicher Natur, etwa die Gewinnung von Fach- und Führungskräften. Die Vermittlung von Arbeitsplätzen sei wichtig, entsprechend sollten offizielle Stellen eine Lotsenfunktion wahrnehmen. Neben jungen Familien seien Ältere oder Auszubildende oder Studenten potenzielle Rückwanderer-Gruppen. Aber auch Pendler könne man ansprechen. Bleiben, wandern und wiederkommen, das sei das Ziel. »Es sind mitunter nicht viele, aber es lohnt sich, um jeden zu kämpfen«, betonte Dienel. Schon mit einem Abiturienten, der Positives erzähle, sei viel gewonnen. Kein anderer Ort habe die Qualität von Heimat, und so sollte im Rahmen von Rückkehrförderung eine Willkommenskultur gepflegt werden. Heimat könne so als cool vermittelt werden. Konkret messbar seien die Erfolge nicht, die man durch diese Imagepflege erreiche, aber die indirekte Wirkung dürfe man nicht geringschätzen.

Sie glaube nicht, so die Hochschul-Präsidentin, dass Demografie allzu gradlinig verlaufe, es gebe unbekannte Faktoren, das habe auch die Entwicklung in der Vergangenheit immer wieder gezeigt. Nicht jede Stadt und jedes Dorf werde künftig wie bisher bestehen bleiben, aber wer die entsprechende Infrastruktur für hohe Lebensqualität in einer mittelgroßen Stadt biete, habe gute Chancen.ek