Karl May erschuf Träume für seine Leser

Vor 100 Jahren starb der Erfinder von Winnetou und Old Shatterhand in Radebeul

Viele Leseratten sind mit den Geschichten von Winnetou, Old Shatterhand, Kara Ben Nemsi oder Hadschi Halef Omar aufgewachsen. In den Büchern von Karl May träumten sie von den Weiten des Wilden Westens und des Orients oder liebten die Filme mit Pierre Brice und Lex Barker, untermalt von der eingängigen Winnetou-Titelmelodie von Martin Böttcher. Zu Ehren des Autors, Karl May, denken am heutigen 100. Todestag viele an ihn und seine Geschichten zurück.

Einbeck. 1878 beschrieb Karl May erstmals seinen Helden Winnetou im gleichnachmigen Buch mit den Worten: »Er schien im Anfange der fünfziger Jahre zu stehen; seine nicht zu hohe Gestalt war von ungewöhnlich kräftigem und gedrungenem Bau, und insbesondere zeigte die Brust eine Breite, die einen hoch aufgeschossenen und langhalsigen Yankee in die respektvollste Bewunderung zu setzen vermochte.« Die Figur Winnetou wandelte sich von dem ersten Auftritt bis zum Spätwerk enorm: Während er anfangs noch ein älterer Wilder war, der seine Feinde skalpierte, trat er später immer idealisierter in den Büchern auf, bis er schließlich zur Symbolfigur des »edlen Wilden« wurde.

Ein facettenreiches Leben in Bezug auf Anerkennung, Beständigkeit, kriminelle Veranlagungen, Verantwortungsbewusstsein sowie schriftstellerische oder gesellschaftliche Akzeptanz hatte ebenfalls sein Schöpfer Karl Friedrich May (25. Februar 1842 bis 30. März 1912), der als einer der meistgelesenen deutschen Schriftsteller (mehr als 200 Millionen Auflagen) gilt. Vor allem seine Reiseerzählungen sind bekannt, die vorwiegend im Orient, in den Vereinigten Staaten und im Mexiko des 19. Jahrhunderts spielen. Viele seiner Werke sind verfilmt, für die Bühne adaptiert, zu Hörspielen verarbeitet oder als Comics umgesetzt, und sie tragen weiterhin zu seinem Ruf und seiner Bekanntheit bei.

Geboren am 25. Februar 1842, war May das fünfte von 14 Kindern, und er wuchs in der kleinen Weberstadt Ernstthal auf. Die häusliche Armut seiner Kindheit, die ihn Zeit seines Lebens prägte, versuchte er mit allen Mitteln vergessen zu machen, doch trieb sie ihn zunächst zu kriminellen Taten wie Diebstahl, Betrug oder Hochstapelei. Durch die Vergehen und den Aufenthalt in sächsischen Arbeits- und Zuchthäusern konnte er nicht mehr das Lehrerseminar in Waldenburg besuchen, so dass er als Privatlehrer, Komponist, Kapellmeister, angeblicher Augenarzt (Dr. Heilig) oder für Zeitungen und Zeitschriften tätig war, bevor 1874 seine erste Publikation (»Die Rose von Ernstthal«) erschien.

Zur gleichen Zeit lernte er Emma Pollmer kennen, die er 1880 heiratete und mit der er in Dresden lebte, bis er 1896 seine »Villa Shatterhand« in Radebeul bezog. Nach der Trennung von ihr wohnte er ab 1903 mit Klara Plöhn, seiner zweiten Ehefrau, ebenfalls in Radebeul zusammen. Hatte er zu Beginn mit humoristischen und erzgebirgischen Geschichten kaum Erfolg, änderte sich dies ab 1890 mit seinen Reise- und Abenteuerromanen. Die spannungsvoll und abwechslungsreich erzählten Fabeln folgen einer klaren Konfrontation von »Guten« und »Bösen«. Idealistische Akteure wie Winnetou, Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi kämpfen für Gerechtigkeit, Ehre und Frieden, und sie überwinden mit ihrer Freundschaft Grenzen, Vorurteile und kriminelle Machenschaften. Dabei agieren sie in Gegenden und Regionen, die durch ihre Unbekanntheit viel Raum für Phantasie und Abenteuerromantik bieten.

Mays Sympathie galt den Benachteiligten und Schwachen, da er selbst daraus entstammte. Oft sind in seinen Büchern Sklaverei, Rassismus sowie der Kampf für Toleranz thematisiert. In seinem Buch »Old Surehand I« schrieb er 1894: »Vor allen Dingen bin ich Mensch, und wenn ein andrer Mensch sich in Not befindet und ich ihm helfen kann, so frage ich nicht, ob seine Haut eine grüne oder blaue Farbe hat!« Derartige Ansichten fanden im kaiserlichen Deutschland nicht überall Anklang, so dass er bis zu seinem Tod gegen Schmähschriften und Anfeindungen kämpfen und prozessieren musste.

Gegen Ende seines Lebens besuchte er 1899 und 1908 den Orient, Sumatra und Amerika, und er sah erstmals die Landschaften, über die er geschrieben hatte. Bei seinem sechswöchigen Aufenthalt in Nordamerika bereiste er unter anderem Albany, Buffalo und die Niagarafälle. Er hat dadurch Inspirationen für sein Buch Winnetou IV bekommen.

Der berühmte, belächelte oder gar abgelehnte Autor starb am 30. März 1912 in Radebeul. Seine Bücher sind bis heute in mehr als 40 Sprachen und vielen Filmen erschienen, und sie sorgen bei vielen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen für große Faszination sowie Sehnsucht nach Weite und Freiheit. Ebenfalls erfreuen sich die Museen in Radebeul und Hohenstein-Ernstthal großer Beliebtheit, wie auch die Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg, Elspe oder Radebeul, wo schon Film-Akteure wie Pierre Brice, Ralf Wolter oder Eddi Arent mehrfach zu sehen waren. Und beim Erklingen der bekannten Winnetou-Melodie träumen viele erneut von den abenteuerlichen Landschaften in Amerika und im Orient sowie von den Helden ihrer Kindheit, die Karl May ihnen geschenkt hat.mru