Kettenhemd am Harzhorn

Sensationeller Fund nach fünf Jahren | Über 100 Fragmente

Einbeck. Die Ausgrabungen unter der Leitung von Professor Michael Meyer, Professor für Prähistorische Archäologie an der Freien Universität Berlin, auf dem im Jahre 2008 entdeckten römisch-germanischen Schlachtfeld vom Harzhorn, im Landkreis Northeim, galt in diesem Jahr dem Rand des Ortes mit dem vermutlich intensivsten Kampfgeschehenes. Sie sollten klären, wie weit sich die Kämpfe erstreckten und ob verschiedene Kampfzonen, die bislang ermittelt werden konnten, zusammengehören oder ob sie isolierte Auseinandersetzungen anzeigen.

Dabei konnte ein ganz besonderer Fund freigelegt werden: ein Kettenhemd, das zwar fragmentartig, aber weitgehend erhalten ist und das am Rand des Kampfbereichs gefunden wurde. Dabei scheint schon allein die Tatsache, dass der Fund über rund 1.800 Jahre im Boden – in einer Tiefe von drei bis zehn Zentimetern – erhalten blieb, eine kleine Sensation So ist das Kettenhemd verhältnismäßig gut erhalten. Allerdings ist das Eisen in den Tausenden von Kettengliedern weitgehend zersetzt, so dass es für den Restaurator eine spannende Herausforderung darstellt. Über 100 Fragmente des Kettenhemdes konnten bisher vor Ort geborgen werden.Es handelt sich um einen aus Tausenden von kleinen Kettengliedern (Durchmesser: ca. 6 mm) zusammengesetzten eisernen Körperpanzer, der vor allem gegen Hiebverletzungen einen wirksamen Schutz bietet. Seine Herstellung war ausgesprochen aufwändig und nahm Wochen in Anspruch.

Erstmals konnte damit auf einem römisch-germanischen Schlachtfeld ein solcher gut erhaltener Körperpanzer freigelegt werden. Durch das am Körper getragene Stück der Ausrüstung wird erstmals die Rekonstruktion einer individuellen Geschichte im Kampfgeschehen möglich. Kettenhemden wurden von römischen Soldaten unterschiedlicher Ränge beim Kampf getragen. Germanische Krieger verzichteten in der Regel auf diesen Schutz, in sehr reichen germanischen Bestattungen finden sich aber immer wieder Reste dieser extrem aufwändig hergestellten Panzer.

»Für die Schlachtfeld am Harzhorn stellt dieser Fund etwas grundlegend Neues da«, erklärt Professor Michael Meyer. »Erstmals liegt ein nahezu vollständiges Teil einer persönlichen Ausrüstung vor.« Das Kettenhemd könne einem verwundeten Römer möglicherweise von seinen Kameraden ausgezogen worden sein, weil diese seine Wunden versorgen und ihn aus dem Kampfbereich bergen wollten, erklärt Professor Meyer. Es sei vorstellbar, dass das Hemd zurückgeblieben sei. Denkbar sei aber auch, dass es von Germanen nach den Kämpfen gezielt an einer Stelle niedergelegt worden sei – als Hinweis darauf, dass sie bei den Kämpfen eine besondere Bedeutung gespielt habe.

Landrat Michael Wickmann verwies vor Ort auf die laufenden Baumaßnahmen zur touristischen Erschließung des Harzhorns. »Das Schlachtfeld bleibt spannend, zum einen Dank des Einsatzes der Archäologen zum anderen aber auch Dank der Menschen vor Ort, die sich für ihr Harzhorn einsetzen«, so Landrat Michael Wickmann mit Blick auf das vielfältige Engagement in der umliegenden Region. 

Das römisch-germanische Schlachtfeld ist einer der am besten erhaltenen Orte römisch-germanischer Konflikte. Seine Entdeckung 2008 war eine Sensation, denn bisher war man davon ausgegangen, dass es nach der Varusschlacht im Jahr 9 n. Chr. keine römische Militärpräsenz in Germanien mehr gegeben hat. Der Schauplatz eines Kampfes im 3. Jahrhundert n. Chr. wird seit 2008 unter der Leitung von Professor Meyer in Kooperation mit der Niedersächsischen Landesarchäologie und den Archäologen des Landkreises erforscht. Finanziert wird die diesjährige Ausgrabungskampagne durch das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege.

Es ist geplant, das gefundene Kettenhemd nach der vollständigen Ausgrabung und der wegen des Erhaltungszustands aufwendigen Reinigung und Restauration in der Niedersächsischen Landausstellung in Braunschweig 2013 zu zeigen. Die Ausstellung mit dem Titel »Roms vergessener Feldzug. Die Schlacht am Harzhorn« ist ab 1. September 2013 im dortigen Landesmuseum zu sehen. Sie präsentiert eine umfassende Auswahl aus den insgesamt 2700 Fundstücken der fünfjährigen Grabungsarbeiten und stellt mit zahlreichen Leihgaben aus zehn europäischen Ländern die Ereignisse im Kontext der römisch-germanischen Geschichte des krisengeschüttelten 3. Jahrhunderts dar.lpd