Kinder sozial und emotional stabil in die Welt schicken

»Was Kinder brauchen«: Gisela Wittenburg-Tristram hält vielschichtigen Vortrag / Sechs Erziehungsziele / Kinder und ihr Tun wertschätzen

Kinder brauchen Liebe und Zeit, aber unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen reicht das nicht – mehr – aus. »Was Kinder brauchen«, damit hat sich Gisela Wittenburg-Tristram in einem Vortrag auf Einladung des Einbecker Bündnisses für Familie, des Einbecker Kinder- und Familienservicebüros (EinKiFaBü), des Stadtelternrates der Einbecker Kindertagesstätten (Sterek) und der Berufsbildenden Schulen Einbeck beschäftigt. Dabei stellte sie verschiedene Erziehungsziele vor, die unter anderem die Stärkung des kindlichen Selbstwertgefühls zum Ziel haben.

Einbeck. Was Kinder brauchen, das sei eine zentrale Frage in der Ausbildung künftiger Erzieher, so Dörte Kirst-Bode, Abteilungsleiterin der Berufsbildenden Schulen Einbeck; deshalb sei dieses Thema auch für die BBS besonders interessant. Vorgestellt wurde die Referentin von der Vorsitzenden des Sterek, Alice Werner. Gisela Wittenburg-Tristram, Diplom-Heilpädagogin und Montessori-Beraterin, sei lange Fachberaterin beim Landkreis Northeim für die Kindertagesstätten gewesen. In der passiven Phase der Altersteilzeit sei sie nun als Entwicklungsberaterin tätig.

Es gehe ihr in ihren Ausführungen nicht darum, was man von der Politik fordern müsse, um bessere Rahmenbedingungen für die Kindererziehung zu erzielen, machte Gisela Wittenburg-Tristram deutlich. Es gehe auch nicht darum, was Kinder lernen und wissen sollten, sondern darum, was sie brauchten, um auf ihr künftiges Leben vorbereitet zu sein. Kinder hätten sich im Gegensatz zu früher nicht verändert, auch wenn das oft behauptet werde. Sie hätten allerdings mit anderen Problemen fertig zu werden, und mancher Dreijährige habe schon eine Odyssee mit mehreren Familienkonstellationen hinter sich. Kinder verzauberten Erwachsene, indem sie das Talent hätten, Probleme auf unbekannte Weise zu lösen, sagte die Referentin. Jedes Kind sei Akteur seiner Entwicklung, es müsse nicht neugierig und lernwillig »gemacht« werden, es brauche aber Begleitung, um den Lern- und Leistungswillen zu erhalten.

Zur Kindererziehung brauche es die gesamte Gesellschaft, machte sie deutlich. Es gebe unzählige Studien dazu, wie man Kinder erziehen sollte, doch noch nie habe die Zukunft so viele offene Fragen gestellt. Komplexe Themen wie Umweltschutz und Globalisierung machten auch vor den Familien nicht Halt.

»Ich sage ja zu mir«, »Ich weiß, was ich kann«, »Ich kann etwas tun«, »Ich kann auch nein sagen«, »Ich kann verzichten« und »Ich bin verantwortlich für das, was ich tue«, diese sechs Erziehungsziele formulierte die Expertin. Kinder brauchten Verständnis, man müsse sie an- und ernst nehmen. Sie müssten wissen, dass sie sich auf die erwachsenen Bezugspersonen verlassen könnten. Das habe etwas mit Respekt und Wertschätzung zu tun. Man müsse nicht alles gut finden, was Kinder tun würden, aber man müsse ihnen zeigen, dass sie wertvoll seien. Fehler seien erlaubt, denn sie seien eine Chance, aus ihnen zu lernen. Das Kind müsse erfahren, dass Gefühle anders sein könnten, aber nicht falsch. Dazu gehöre auch, mit Ängsten umzugehen und Schmerzen und Trauer zu gestehen. Um Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl von Kindern zu steigern, brauche es Menschen, die sie fordern und fördern würden, die sie lobten für ihre Anstrengungen und dafür, dass sie bei der Sache geblieben seien. Kinder brauchten zudem kleine Aufträge, die ein Lernen möglich machten. Eltern müssten ihrerseits ertragen können, dass etwas nicht so reibungslos klappe, wie sie das vielleicht erwarteten. Kinder brauchten Begleiter, die ihnen etwas zutrauten. Sie liebten Material zum Formen, Bauen, Konstruieren und Ausprobieren. Kinder benötigten wenig Spielzeug, aber viel Zeug zum Spielen, machte die Pädagogin deutlich. Dabei sollte man ihnen so viel Hilfe wie nötig und so wenig wie möglich geben, entsprechend dem Montessori-Gedanken: »Hilf mir, es selbst zu tun.« Um Nein sagen zu könnten, hätten Kinder viel Ich-Stärke notwendig, und dazu seien Begleiter hilfreich, die das Anderssein als Bereicherung des eigenen Lebens sehen würden. Sie sollten sich disziplinieren können und so den Kindern ein Vorbild sein. Kinder brauchten Regeln, Strukturen und Rituale, die nachvollziehbar und sinnvoll seien und an denen sie sich orientieren könnten. Kinder schätzten Verlässlichkeit und Regelmäßigkeit. Werte und Normen machten sie sicher, sie könnten sich aufgehoben fühlen.

Beim Verzicht könnten Erwachsene vorleben, das nicht allein materielle Wunscherfüllung glücklich und fröhlich mache, sondern dass es schöner sei, zusammen etwas zu tun. Zeit, die man mit anderen verbringe, sorge für Freude und innere Zufriedenheit. Zugegebenermaßen sei es in einer materiellen Welt schwierig, sich auf diese Werte zu besinnen. aber für die Fantasie sei es wichtig, nicht alle Wünsche immer gleich zu füllen. Kinder, so ein weiterer Rat, müssten Zeit haben für Lautes und Leises, zum Toben und Tollen, für Entspannung, Ruhe und Besinnlichkeit. Es müsse Raum sein für gemeinsame Abenteuer und für Entdeckungen und Experimente im Alltag. Wichtig seien Begleiter, die ihnen vertrauten und die ihnen zeigten, dass die Verantwortung für ihr eigenes Handeln im Alltag übernehmen müssten.

Entwicklung und Bildung seien wichtig für die Kinder und für die Zukunft der Gesellschaft, so Wittenburg-Tristrams Fazit. Wer Kinder sozial und emotional stabilisiere, schicke sie stark in die Welt. Mit gestärktem Rückgrat eigneten sie sich die Kompetenzen an, die sie brauchten, um ihr Leben zu meistern.ek