Kinderbetreuung ist auch eine Aufgabe des Wollen

Aktionstag des Familienbündnisses / Gisela Wittenburg-Tristram spricht über Bedingungen für Kinder, Eltern, Betriebe, Politik

Am bundesweiten Aktionstag der Lokalen Familienbündnisse hat sich auch das Einbecker Bündnis für Familie beteiligt. Im Mittelpunkt stand das Thema »Kinderbetreuung nach Maß«. Referentin dazu war Diplom-Heilpädagogin Gisela Wittenburg-Tristram, ein Grußwort sprach Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek.

Einbeck. »Kinderbetreuung nach Maß«, zu diesem Motto stellte der Vorsitzende des Einbecker Bündnisses für Familie, Peter Traupe, fest, dass viele kommunale Dienstleistungen vom Familienbündnis übernommen würden. Allerdings seien diese Aufgaben mit ehrenamtlichen Kräften allein nicht zu bewältigen. Damit verbinde das Einbecker Bündnis die Frage nach der Finanzierung der Aufgaben: »Wir brauchen eine verbindliche finanzielle Ausstattung, es kann  nicht sei, dass wir vor Ort ›betteln‹ gehen«, betonte Traupe. Zwar gebe es eine große Spendenbereitschaft, es gebe aber auch viele weitere Einrichtungen, die Geld benötigten. Kinderbetreuung nach Maß sollte zudem nicht nur auf Kinder eingehen, sondern das Bündnis sehe Familie »von null bis 100«. Dazu zähle Arbeit mit Kindern und Senioren, im Rahmen von Präventions- und Integrationsarbeit. Zum Vorfall mit einem in einer Kindergartengruppe vermissten Kind sagte Traupe, er hoffe, dass dieses Ereignis nicht dazu führe, Angebote wie Waldtage zu streichen, das wäre die schlechteste Konsequenz; vielmehr sollte man dies nutzen, über eine Ausstattung von Kindergartengruppen nachzudenken, die über personelle Mindeststandards hinaus gehe.

Familie sei mehr als Kinderbetreuung, und die gesamte Bandbreite von null bis 100 einzubeziehen, sei richtig, hob Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek hervor. Es gehe auch der Stadt um familiengerechte Lebensbedingungen und darum, wie beispielsweise der Spagat zwischen Kinder- und Betreuung alter Eltern zu schaffen sei. Das werde kommunalpolitisch abgedeckt, aber auch durch Initiativen wie das Familienbündnis. Dazu, stimmte sie Traupes Forderung zu, brauche es kontinuierlich Geld von Bund und Land. Es reiche nicht aus, eine Anschubfinanzierung zu gewährleisten. Die Stadt sei allerdings in ihren freiwilligen Leistungen durch den Zukunftsvertrag gedeckelt. Familiengerechtigkeit bedeute auch Wahlfreiheit, die Kommune dürfe nicht vorgeben, was Familien nutzen müssten, sondern es gehe darum, bedürfnisgerechte Angebote zu schaffen und die komplette Bandbreite abzudecken.

»Kinderbetreuung nach Maß – aber welches Maß ist das eigentlich?«, diese Frage stellte Gisela Wittenburg-Tristram an den Beginn ihrer Ausführungen. Kinder brauchten Menschen, die sie begleiteten. Sie seien neugierig, wollten teilhaben, und sie brauchten Erwachsene, die mit ihnen dabei in den Dialog treten würden. Bei einer Kindergartengruppe von 25 Kindern und zwei Erzieherin blieben 20 Minuten pro Kind für diesen Dialog. Ein Kind brauche Erwachsene, aber auch Kinder in der Gruppe, mit und von denen es lernen könne. Feste Gruppen, die Kontinuität gewährleisteten, und gleiche Beziehungsangebote, seien dabei sinnvoll. Eine Kinderbetreuung im Zehn-Abo sei möglicherweise auf das Maß der Eltern zugeschnitten, für Kinder aber absolut schädlich. Eltern wollten, dass auf ihr Kind in der Einrichtung gut aufgepasst und dass es aufs Leben vorbeireitet werde. Entsprechend sollen möglichst viele Themen angeboten werden, damit die Eltern sich wenig kümmern müssten. Eltern seien oft überlastet, das bleibe für die Erziehungsaufgaben weniger Raum.

Die Forderung nach passgenauen Öffnungszeiten, etwa für Schichtarbeiter, seien ganz schwierig zu erfüllen. Das Maß der Betriebe sei es, Mitarbeiter flexibel einzusetzen. Aus effektivem Einsatz der Arbeitskräfte ergebe sich eine Gemengelage mit den Bedürfnissen von Eltern und Kindern.

Die Politik ziele in ihrem Maß darauf ab, die Wünsche von Kindern, Eltern und Wirtschaft mit zu bedienen, darüber hinaus aber auch eigene Maße: Im Sinne der Politik sei es, mündige Bürger zu erziehen. Das bedeute Teilhabe und Solidarität, und das müsse die Politik einfordern. Allerdings sei zwischen pädagogisch Wertvollem und finanziell Möglichem ein Doppelspagat notwendig. »Wir haben kein Geld«, das dürfe man nicht mehr sagen, wenn es um die Bildung von Kindern gehe, betonte Wittenburg-Tristram. Deutschland sei ein reiches Land, so dass dahinter die Frage stehe, ob man sich diese Ausgaben leisten wolle. »Die Kinder müssen unsere Scherbenaufsammeln«, warnte die Referentin. An die künftigen mündigen, kreativen und vernetzten Bürger, die Kinder von heute, würden einmal hohe Anforderungen gestellt, man müsse ihnen deshalb viel mitgeben.

In Einbeck, räumte sei ein, habe man eine vergleichsweise heile Welt: Es gebe traditionell viele Kindergartenplätze, Krippen, Ganztagsschulen. Was noch kommen müsse, sei Integration in Tagesstätten, denn Inklusion berge Potenzial für Kindergärten und Schulen. Ein wichtiger Wunsch für und von Kitas, Krippen, Hort und Schule sei mehr Zeit, verbunden mit mehr Personal. Eine bessere personelle Ausstattung ermögliche mehr Vorbereitung, Reflexion und eigene Weiterbildung. Man sollte nicht nur auf die Quantität setzen, sondern auch auf die Qualität der Einrichtungen, so ihr Rat. Verbesserungen seien eventuell über den Wechsel in der Landesregierung möglich, hier gelte es, die Gunst der Stunde zu nutzen. Einig war sie mit den Vorrednern darin, dass Gemeinden die Aufgaben nicht allein bewältigen könnte, Bund und Land seien mit gefordert.

Der Abend wurde musikalisch umrahmt von Magda Kampa und Franziska Gabriel, Gesang und Gitarre, und für ein Büffet, bei die Gäste das eine oder andere Gespräch führen konnten, hatte das Kinder-Café gesorgt. ek