Klare Haltung gegen Unterdrückung und Hass

Kranzniederlegung am jüdischen Mahnmal | Bürgermeisterin: Menschen mit Respekt begegnen

Das Bündnis »Einbeck ist bunt« rückte das Schicksal acht jüdischer Mitbürger ins Bewusstsein.

Einbeck. In Einbeck ist es gute Tradition, am Jahrestag der Reichspogromnacht am jüdischen Denkmal in der Bismarckstraße einen Kranz niederzulegen. Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek bezog bei ihrer Ansprache klar Stellung: »Wir tragen nach wie vor an der Verantwortung für das, was Nazideutschland den Juden angetan hat. Und wir können dafür sorgen, dass Weltoffenheit, Toleranz und die gerechte Verteilung von Ressourcen die Grundlage unseres politischen und individuellen Handelns gegenüber anderen Menschen bleiben.« Sie rief dazu auf, gegen Gleichgültigkeit ein Zeichen zu setzen und Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Hass und Gewalt in jeglicher Form entgegenzutreten. Das Bündnis »Einbeck ist bunt« erinnerte mit einer Installation an jüdische Mitbürger und deren Schick-sale. Der Wahlpflichtkurs Gesellschaftslehre der IGS hat zum zweiten Mal die Stolpersteine in Einbeck gereinigt und für diese Aktion viel Zuspruch erfahren. Die Schüler können nun einen Stolperstein für Gerd Dannenberg an dem Ort finanzieren, an dem sein letzter frei gewählter Wohnort war – in Markoldendorf.

Vor 81 Jahren am 9. November wurden in einer von den Nationalsozialisten lange geplanten Aktion die Synagogen angezündet, Geschäfte verwüstet und Deutsche jüdischen Glaubens verhaftet und misshandelt. Diese Gewalt habe sich jahrelang vorbereitet, unterstrich die Bürgermeisterin. Der Ton auf der Straße und menschenverachtendes Verhalten gegenüber Minderheiten hätten die Menschen verunsichert. Die ständige Beeinflussung durch Presse und NS-Organisationen habe Folgen für das Verhalten der Bürger gehabt: Juden und andere Minderheiten waren ausgegrenzt und in ihrer Existenz gefährdet.

Die Gleichgültigkeit gegenüber offensichtlichem Unrecht und mangelnde Zivilcourage gepaart mit Angst habe nach 1938 dazu geführt, dass die »wahnsinnigen Pläne Hitlers« in Bezug auf die jüdischen Mitbürger und viele andere Minderheiten in die Tat umgesetzt werden konnten, bis hin zu Deportation und Vernichtung in den Konzentrationslagern. »Der Holocaust ist bis heute ein einmaliges Phänomen, das sich tief in unser Bewusstsein eingegraben hat.«

Diejenigen, die heute mit Interesse die gesellschaftlichen Entwicklungen und die politischen Diskussionen verfolgen, würden ein großes Unbehagen empfinden, unterstrich die Bürgermeisterin. Der Ton auf der Straße, im Internet und sogar im Bundestag mache deutlich, dass Fremdenfeindlichkeit und sogar Hass wieder in der Gesellschaft an die Oberfläche gespült worden seien. Juden und jüdische Einrichtungen würden in Deutschland wieder angegriffen, liberale Politiker mit dem Tod bedroht, Rechtsradikale bereiteten sich anscheinend ungehindert in Kampfgruppen auf gewalttätige Aktionen vor. Die Vorstellung, dass etwas Derartiges in Deutschland nicht mehr möglich sei, hat sich als Illusion erwiesen. »Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass ein erheblicher Anteil der Bevölkerung rechtsradikalen Ideen anhängt und diese auch öffentlich zur Schau trägt.«

Die Bürgermeisterin zitierte den Journalisten Alexander Schwabe, der den subtilen Antisemitismus kritisiert. Die Gesellschaft müsse sich schütteln, müsse die salonfähig gewordene Menschenverachtung erkennen. Erschreckend sei, dass auch die gesellschaftliche Mitte nicht mehr gegen rechtes Gedankengut immun sei. Der australisch-britische Historiker Christopher Clark, der in Cambridge Neuere Europäische Geschichte lehrt und die Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg untersuchte, verglich im Jahr 2012 Gesellschaften, die nicht fähig sind, sich einem solchen zersetzenden Prozess entgegen zu stemmen und stattdessen wie betäubt ins Unglück zu taumeln, mit Schlafwandlern. Hier helfe nur Wissen, das nicht verdrängt wird. Die Ereignisse auf den Straßen, der Anschlag auf die Synagoge in Halle: sie erzeugten Bilder im Gedächtnis, Bilder von einer schlechten Zeit, Bilder von Menschen, die in verschlossenen Gotteshäusern in den Flammen umkommen, von Hetzjagden und Ausgrenzungen, die vorangegangene Generationen miterlebt haben.

Michalek machte auf die Veränderung der Gesellschaft aufmerksam. Menschenverachtung und Hass seien stärker und lauter geworden. Und sie fragte, ob das wirklich gewollt sei. Gedenken sei ein wichtiges Wort im Alten Testament. Der Begriff meint, dass die Erinnerung an das unmenschliche Geschehen damals in der Gegenwart verankern wird, damit Veränderung möglich und wirksam wird. »Wenn wir gegenüber der zerstörten Synagoge zusammenkommen, dann geben wir dieser Art des Gedenkens Raum.« »Wir gedenken – und damit nehmen wir jenen den Triumph, die genau dies beabsichtigt hatten: die Erinnerung an jüdische Menschen und an jüdisches Leben in dieser Stadt zu vergessen.«

Für die Bürgermeisterin heißt gedenken nachdenken, sachlich diskutieren und überzeugen, Einstehen für Würde, Recht und Menschlichkeit aller Menschen, wo immer sie in Gefahr sind. Allen müsse diese Freiheit gelten, und ebenso seien alle gefordert, die im deutschen Grundgesetz verankerte Toleranz dem jeweils anderen auch zuzugestehen. »Meine Freiheit endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt.

In den vergangenen Jahren hätten viele Menschen auf der Flucht in Einbeck Unterkunft gefunden. Dabei hätten unzählige Ehrenamtliche in Einbeck bei der Aufnahme und Integration beispielhaftes Engagement und Nächstenliebe gezeigt. Das überparteiliche und konfessionsübergreifende Bündnis »Einbeck ist bunt« unterstützt die Bemühungen um Integration und tritt intoleranten und illegalen Aktivitäten entgegen. Man dürfe sich allerdings nicht der Illusion hingeben, dass dieser Widerstand und das Schweigen der großen Mehrheit genug seien, mahnte sie.

Das Gedenken am 9. November möchte die Bürgermeisterin als ein Zeichen verstanden wissen, für den demokratischen guten Willen, hier in Einbeck die Probleme konstruktiv und gemeinschaftlich zu lösen. Nicht Vorurteile, sondern das Bild aus eigener Anschauung müsse dabei leitend sein: das bedeutet, fremden Menschen mit Respekt zu begegnen, sie kennen zu lernen und sie mit der hiesigen Kultur und Werten vertraut machen. Alle würden Verantwortung für die Zukunft tragen, für Freiheit, für eine starke Demokratie und für ein friedliches, respektvolles und gleichberechtigtes Miteinander aller Bürger, der hier Geborenen ebenso wie der Neubürger in Einbeck, unterstrich Michalek.

Mit einem Judenstern aus Fäden und farbigen Kerzen brachte das Bündnis »Einbeck ist bunt« Namen zum Klingen, die keine Stimme mehr haben, wie Pastorin Annegret Kröger formulierte. Das Schicksal von acht jüdischen Mitbewohnern rückten sie ins Bewusstsein.

Umrahmt wurde die Kranzniederlegung durch die Bläsergemeinschaft Kuventhal/Einbeck. Am Ende bestand die Möglichkeit, in Anlehnung an jüdische Tradition, einen Stein am Mahnmal niederzulegen.sts