»Krafteier« gleiten durch Einbeck

Elf stromlinienförmige Kabinenmotorräder waren am PS.SPEICHER zu sehen

Ungewöhnliche Anblicke gab es jetzt beim PS.SPEICHER in Einbeck zu bestaunen: Elf stromlinienförmige Kabinenmotorräder, von denen 1980 bis 2005 rund 200 Exemplare gebaut wurden, kamen zum »Familientreffen« in Einbeck zusammen.

Einbeck. Da heute nur noch wenige der 3,70 Meter langen Flitzer erhalten sind, könnte es das weltweit größte Fahrzeugtreffen dieser Art gewesen sein. Die windschlüpfrigen Gefährte verfügen über 90 bis 130 PS starke BMW-Motoren sowie ein Fünf-Gang-Getriebe inklusive Rückwärtsgang, und sie haben eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 240 Kilometern.

Die ersten Fahrzeuge wurden noch unter dem Namen »Oemil« (OEkoMobIL) oder »Peraves Oemil« angeboten. Da die Firma Peraves aus Winterthur aber eine Verwechslung mit der in den 1980ern aufkommenden ökologischen Bewegung vermeiden wollte, wurden das »OEkoMobIL« in »Ecomobile« kurz »ECO« umbenannt. Seit 2007 gibt es ein neues Modell namens »MonoTracer« sowie den »eTracer« mit elektrischem Antrieb.

Die Windwiderstandskräfte sind durch den schnittigen Aufbau und die kleine Stirnfläche niedrig. Meist angetrieben von einem BMW-Motor liegt der Benzinverbrauch im Durchschnitt bei fünf Litern auf 100 Kilometern und steigt auch bei schneller Autobahnfahrt nicht über acht Liter. Strecken von rund 800 Kilometern können beladen ohne Probleme zurückgelegt werden.

Um den Fahrer komplett einzuhüllen, sitzen er und der Beifahrer durch Dreipunktgurte gesichert hintereinander im Fahrzeugkörper, es sind auf ­beiden Seiten einklappbare Stützräder angebracht. Diese werden elektrisch ein- oder ausgefahren. In schnellen Kurven ist es durch die Schräglage möglich, dass das eingefahrene, kurveninnere Stützrad auf den Boden kommt und die Kurve auf drei Rädern durchfahren wird.

Zum Führen ist in Europa der Motorradführerschein Voraussetzung. Dem ECO-Fahrer muss bei Touren klar sein, dass er wegen der kleinen Silhouette von anderen Verkehrsteilnehmern oft erst spät wahrgenommen wird. Der seltene Anblick überrascht zudem viele, vor allem wenn die »Krafteier« an den anderen Fahrzeugen »vorbeifliegen«.

Erfunden wurde das »Ecomobile« vom Schweizer Arnold Wagner. Er war Flugzeugkapitän bei Swissair und bei der Luftwaffe, konstruierte Akrobatikflugzeuge, und er will jetzt auch noch den Verbrennungsmotor mit seinem Kugelmotor revolutionieren. Ab 1980 beschäftigte er sich mit dem »Kraftei«. Er entwickelte kontinuierlich ein Hochleistungsmotorrad, das den Insassen vollen Wetterschutz bietet, aber die gleichen Fahreigenschaften eines normalen Gefährts hat. Die Entwicklungsarbeiten an »Ecomobile« und »Monotracer« waren aufwendig, da viele Innovationen konzipiert werden und die schweizerischen Zulassungsbehörden zustimmen mussten.1991 quittierte Wagner als 50-Jähriger freiwillig seinen Dienst als Kapitän, um seiner Kreativität mehr Raum zu geben. Sein Traum war, das Gefährt, das ökonomischer als die tonnenschwere »Blechdose Automobil« ist, visionär zu entwickeln.

Der kommerzielle Erfolg des Kabinenmotorrads blieb bescheiden, doch gab es zahlreiche Liebhaber, die sich den »Krafteiern« verschrieben. Dazu zählen unter anderem Josef Werhahn sowie Dr. Bernd Stückmann aus Höxter, die Wagner vom Einbecker PS.SPEICHER berichteten – die Kulturstiftung Kornhaus als Trägerin verfügt ebenfalls über zwei »Ecomobile«. Eines konnten viele Einbecker in den vergangenen Monaten im ehemaligen »Haus der Bücher« in der Marktstraße bewundern, das andere im Foyer an der Raiffeisenstraße.

Von dem Gehörten war der Schweizer begeistert, so dass er auf seiner Tour nach Hamburg einen Stopp in Höxter und in Einbeck einplante. Das nahmen Stückmann und Werhahn zum Anlass, ein »ECO-Familientreffen« zu organisieren. Wagner »flog« mit seiner Frau gemütlich im Kabinenmotorrad die 600 Kilometer von der Schweiz bis an die Weser, und sie trafen dort Liebhaber der »Krafteier« aus Hameln, Neuss, Holzminden, Ulm, Gießen und Hannover. Gemeinsam genossen sie anschließend  die Fahrt nach Einbeck, wo sie Theo Schulte, ­Alexander Kloss und Paul Gockel von der Kulturstiftung am PS.SPEICER empfingen, ebenfalls fasziniert von Kabinenmotorrädern.

Interessiert waren viele Besucher an den windschnittigen Raritäten, die »ECO«-Mobilisten aber ebenfalls an der Geschichte der Mobilität und den ausgestellten Exponaten im ehemaligen Kornhaus. Genüsslich bestaunten sie die »Schätze der Historie«, die Gegenwartsmodelle und die Zukunftsaussichten, bevor sie sich auf eine Ausfahrt in Richtung Harz begaben und sicherlich erneut viele Blicke auf sich zogen.mru