Lebenshilfe setzt weiter auf gute Förderung

Kernstadt-SPD besucht Einrichtung und Therapiehaus beim Projektsommer | Inklusion: Gute Idee, Umsetzung schwierig

»Wir hören uns um« lautet das Motto des diesjährigen SPD-Projektsommers, und bei der vorletzten Veranstaltung der Reihe haben sich die Kernstadt-Sozialdemokraten über die Arbeit der Lebenshilfe informiert. Im Jubiläumsjahr – die Einrichtung wurde 1964 gegründet – lag das besondere Augenmerk dabei auf dem jüngsten »Kind«, dem neuen Therapiehaus, das Platz für die Praxen für Ergotherapie und Logopädie bietet. In der anschließenden Gesprächsrunde ging es vor allem um Inklusion.

Einbeck. Die Vorsitzende des Vereins Lebenshilfe, Dr. Isolde Zinser-Schulz, freute sich über den guten Besuch. Das im Frühjahr eingeweihte Therapiehaus sei sehr schön geworden. Die Möglichkeit, dass die Kinder die Therapie im Lauf des Tages, den sie in der Einrichtung verbringen, erhalten, entlaste viele Familien. Die Angebote, hob Geschäftsführer Rüdiger Ernsting hervor, seien aber für alle Patienten – mit Rezept oder als Selbstzahler – offen.

Martina Helmer erläuterte die Praxis für Ergotherapie, Heike Meyer-Perkuhn die Praxis für Logopädie im Therapiehaus, das sich in der Sophienstraße direkt an das Lebenshilfe-Gelände anschließt. Für die Ergotherapie steht unter anderem ein großer, multifunktionaler Bewegungsraum zur Verfügung. Weiter gibt es Werkräume, unter anderem mit einem speziellen Therapietisch und für Holz- oder Tonarbeiten, und einen gut sortierten Lagerraum. Feinmotorik, visuelle Wahrnehmung und Gleichgewicht werden ebenso geschult wie Konzentration. Über Anreize könne man die Kinder stärken, ihre Übungsaufgaben zu absolvieren, erläuterte die Leiterin. Wichtig ist, dass die Eltern auch dabei sind und Ideen für zuhause mitnehmen als Hilfe zur Selbsthilfe. Vor allem Vorschulkinder kommen in die Praxis, das Patientenspektrum umfasst Drei- bis 18-Jährige. Erwachsene können die Therapie etwa nach einem Schlaganfall, bei Parkinson oder Demenz nutzen.

Logopädie, Sprachtherapie, kann in jedem Alter zum Einsatz kommen, bei Kindern mit einer Kiefer-Gaumen-Spalte oder Trinkschwäche schon von Geburt an. Mit zwei Jahren, so Leiterin Heike Meyer-Perkuhn, sollten Kinder 50 Wörter sprechen können. War das nicht der Fall, ging man früher davon aus, dass sich das schon »zurechtlaufe«. Es sei aber besser, einen Arzt beizeiten hinzuzuziehen und eventuell Maßnahmen zu ergreifen. Bis zum 18. Lebensjahr könnten Kinder und Jugendliche mit Sprachstörungen dazulernen – man sollte nicht aufgeben. Für Erwachsene gibt es nach Schlaganfällen oder bei Schluck- oder Stimmstörungen ebenfalls Hilfe. Während ambulante junge Patienten in der Regel maximal ein halbes Jahr behandelt werden müssen, dauert die Therapie bei anderen oft deutlich länger.

Die Praxis, hoben beide Leiterinnen hervor, sei nach den Wünschen und aus den Erfahrungen anderer Einrichtungen gebaut worden. So gebe es für die Eltern einen ruhigen Warteraum. Alles sei gut isoliert und sehr schalldicht. Auch Sprache beginnt mit Bewegung, und so steht ein großer Bewegungsraum zur Verfügung. Durch verschiedene Übungen können die Sinne verknüpft werden. Ein Trampolin, ein Tunnel und Matten sind vorhanden, alles wird für spielerische Übungen zur Sprachanbahnungen genutzt, genau wie rhythmische Elemente. »Das Kind wird da abgeholt, wo es steht«, so die Leiterin. Gearbeitet wird an drei Bereich: Boden, Tisch und Computer. Auch ein reizarmer Raum steht zur Verfügung, der beispielsweise für autistische oder hyperaktive Patienten genutzt wird. Als »verlängerter Arm« der Ergo-Praxis ist eine Therapieküche eingerichtet worden. Unterfahrbare Schränke machen das Arbeiten auch für Rollstuhlfahrer möglich.

Selbst vor schwierigen Fällen kapitulieren die Mitarbeiterinnen nicht, wenn etwa ein Kind gar nicht spricht: »Das ist unsere Kunst«, lächelte Heike Meyer-Perkuhn. Das Haus sei so, wie man sich das gewünscht habe, versicherte sie: »Wir gehen jeden Morgen gern hierher.« Die Immobilie gehört dem Verein Lebenshilfe, der Betrieb erfolgt über das Pädagogisch-therapeutische Förderzentrum (PTZ).

Der Besuch bei der Lebenshilfe, betonte der Vorsitzende der Kernstadt-SPD, René Kopka, lohne immer wieder: Die Einrichtung entwickele sich ständig weiter, und man könne Impulse für die politische Arbeit mitnehmen. Zum Thema Inklusion nahmen die Vorsitzende Isolde Zinser-Schulz, Vorstandsmitglied Gerd Tölke und Geschäftsführer Rüdiger Ernsting Stellung. Grundlage sei die entsprechende UN-Konvention, die weltweit Gültigkeit habe. In vielen Ländern gebe es nicht solche Diagnostik- und Fördermöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen wie in Deutschland. Wenn man über Inklusion Kosten sparen wolle, sei das ein falscher Ansatz. Alle in eine Schule zu schicken, das unterstützt die Lebenshilfe nicht: Die Lehrer hätten nicht die entsprechende Ausbildung, die Kinder hätten Ängste. Regelschulbesuche funktionierten nur unter entsprechenden Voraussetzungen. Die Lebenshilfe habe einen guten Personalschlüssel, wie das bei Schulen nicht möglich sei. In den Einrichtungen seien Behinderte in ihrer Gruppe akzeptiert. Behinderte in Unternehmen unterzubringen, werde zunehmend schwieriger, nahmen sie Stellung zu Inklusion im Erwachsenenbereich. Die Wirtschaft habe die einfachen Arbeitsplätze für Behinderte abgeschafft. Der Grundgedanke, der hinter der Konvention stehe, sei hervorragend, er berge aber auch viel Sozialromantik: Es sei nicht vorstellbar, dass mehrfach Schwerstbehinderte auf dem ersten Arbeitsmarkt untergebracht würden, so Ernsting.

Für das PTZ bringe die Inklusion bisher keine Veränderungen: »Wir merken nichts.« Im Gegenteil: Der Heilpädagogische Kindergarten sei mit Sondergenehmigung um zwei auf zwölf Gruppen aufgestockt worden, er sei einer der größten in Niedersachsen, und auch in der Tagesbildungsstätte Ilmeschule gebe es eine Klasse mehr. Kooperationen mit vielen Stellen seien vorher schon gelaufen. Entscheidend sei der Elternwille, und das Kind müsse sich wohlfühlen.

Kinder und Jugendliche mit schweren Behinderten seien im geschützten Rahmen der Einrichtung besser untergebracht, ergänzte Gerd Tölke. Einrichtungen werde es auch in Zukunft geben müssen. So locker-flockig, wie das vielen in der Theorie erscheine, sei das Thema nicht. Die therapeutischen Angebote hier seien zudem unschlagbar. Es sei aber grundsätzlich gut, dass die Gesellschaft sich auf den Weg in Richtung Inklusion mache und dass ein Bewusstsein geschaffen wurde.

Mit dem, was die Lebenshilfe in 50 Jahren geleistet habe, müsse sie sich nicht verstecken, unterstrichen die Besucher. Die Einrichtung sei inhaltlich weitestgehend bekannt und habe einen festen Platz erreicht. Nächste Veranstaltung wird der Martinsbasar Anfang November sein. Nach einem ersten Austausch mit behinderten Jugendlichen aus der Partnerstadt Thiais wird dieses Vorhaben im nächsten Jahr mit einem Gegenbesuch fortgesetzt. Mit 130 Mitarbeitern sei das PTZ zudem als mittelständischer Betrieb auch ein Wirtschaftsfaktor.Zum Abschluss des Projektsommers besucht die SPD am morgigen Dienstag, 9. September, den Salzderheldener Dohrenberg mit Abschluss bei Bratwurst und Getränken. Treffpunkt für die Besichtigung des Naturerlebnisraumes ist für Mitglieder und Interessierte um 18 Uhr am Salzderheldener Schützenhaus.ek