Mehr psychische Erkrankungen

Gesundheitsreport für die Region | Ausfalltage über Landesniveau

Einbeck. Der Krankenstand im Göttinger Land ist 2012 konstant geblieben. Die Ausfalltage aufgrund von Erkrankungen blieben wie im gesamten Bundesland Niedersachsen unverändert. Mit 4,0 Prozent lag die Region jedoch um 0,2 Prozentpunkte über dem Landesdurchschnitt (3,8 Prozent). Damit waren an jedem Tag des Jahres von 1.000 DAK-versicherten Arbeitnehmern 40 krankgeschrieben. Der niedrigste Wert in Niedersachsen wurde mit 3,0 Prozent im Landkreis Vechta verzeichnet, der höchste im Kreis Uelzen und Lüchow-Dannenberg mit 4,8 Prozent.

Wie aus dem aktuellen DAK-Gesundheitsreport für das Göttinger Land hervorgeht, den Bernd Schäning vom DAK-Servicezentrum Einbeck jetzt vorgestellt hat, entwickelten sich im Vergleich zum Vorjahr die Ausfalltage bei den Diagnosen sehr unterschiedlich. Einen Anstieg um 13 Prozent gab es bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angstzuständen. Grund dafür waren mehr Fälle und eine längere durchschnittliche Erkrankungsdauer von 33 Tagen je Einzelfall. Die Fehltage lagen über dem Landesdurchschnitt. Einen Rückgang um 13 Prozent gab es hingegen bei Verletzungen und Vergiftungen. Auch die Krankschreibungen aufgrund Muskel-Skelett-Beschwerden wie Rückenschmerzen sanken um knapp vier Prozent. Die Diagnose bleibt jedoch die Hauptursache für Ausfalltage in der Region.

»Der konstante Krankenstand in der Region ist ein positives Signal«, kommentierte Schäning die Ergebnisse. »Damit sich die Entwicklung günstig fortsetzt, sind Arbeitnehmer und Betriebe gefragt. Zu einem gesunden Leben gehört auch der wichtige Bereich der Arbeit. Durch ein gezieltes Gesundheitsmanagement können Unternehmen selbst dazu beitragen, dass der Krankenstand bei ihren Beschäftigten sinkt. Ansätze bieten zum Beispiel die Themen Ernährung, Entspannung und Bewegung. Hierzu beraten wir gern.«

Einen Schwerpunkt setzt die Krankenkasse 2013 mit einer neuen Aufklärungskampagne über die Auswirkungen von Stress im Job: Eine aktuelle Langzeitanalyse für Niedersachsen zeigt, dass in den vergangenen zwölf Jahren die Fehltage bei psychischen Erkrankungen um 83 Prozent gestiegen sind. Zum Vergleich: Bundesweit betrug der Anstieg 85 Prozent. Gleichzeitig gingen die Krankschreibungen aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Atemwegserkrankungen deutlich zurück.

Sind heute wirklich immer mehr Menschen psychisch krank? Oder haben sich nur die öffentliche Wahrnehmung und der Umgang mit Belastungen geändert? Nach Einschätzung von Experten nehmen die Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen vor allem zu, weil Betroffene und Ärzte inzwischen anders mit seelischen Leiden umgehen. »Viele Arbeitnehmer werden heute mit einem psychischen Problem krankgeschrieben, während sie früher zum Beispiel mit der Diagnose chronische Rückenschmerzen arbeitsunfähig gewesen wären«, erklärt Schäning.

Vor zehn Jahren spielte auch »Burnout« bei Krankschreibungen kaum eine Rolle. Die aktuelle Diskussion über einen steilen Anstieg der Erkrankung in jüngster Zeit muss relativiert werden. So tritt bei Fehltagen zum Beispiel die Diagnose Depression acht Mal häufiger auf. Im vergangenen Jahr haben die Ärzte in Niedersachsen nur bei etwa jedem 530. Mann und jede 320. Frau ein »Ausbrennen« auf der Krankschreibung vermerkt. »Burnout ist offensichtlich kein Massenphänomen«, betont Schäning. »Es ist eine Art Risikozustand und keine Krankheit.« Der Begriff sei aber durch viele Medienberichte positiver besetzt und sozial akzeptierter als eine Depression.

Laut Studie der DAK-Gesundheit sind auch berufliche Telefonate außerhalb der Arbeitszeit sehr viel weniger verbreitet, als die öffentliche Debatte vermuten lässt. In Niedersachsen geben zum Beispiel die Hälfte der Beschäftigten an, dass sie noch nie außerhalb der Arbeitszeit von Kollegen angerufen wurden. 68 Prozent der Befragten bekommen nach Feierabend auch keine E-Mails. Allerdings steigt mit dem Ausmaß an Erreichbarkeit auch das Risiko, an einer psychischen Störung zu erkranken. Jeder vierte Beschäftigte, der ständig erreichbar ist, leidet unter einer Depression. Schäning: »Für diese kleine Gruppe hat der Wegfall der Grenze zwischen Beruf und Privatleben einen hohen Preis.«

Obwohl psychische Erkrankungen meist zu sehr langen Ausfallzeiten führen, ist die Diagnose aus Sicht der Beschäftigten in vielen Unternehmen weiterhin eine Art Stigma. Ein Vergleich der DAK-Gesundheitsreporte für die Jahre 2004 und 2012 zeigt, dass aktuell das Verständnis von Mitarbeitern und Kollegen eher pessimistischer eingeschätzt wird. »Hier besteht dringender Handlungsbedarf für Betriebe und betroffene Mitarbeiter, das Thema aus der Tabuzone herauszuholen«, fordert Schäning. Neue Daten zeigen: Fast jeder zweite Beschäftigte in Niedersachsen würde möglichst niemanden sagen, wenn er an einer psychischen Erkrankung leidet.

Die in die Studie einbezogenen Ärzte sehen in Arbeitsverdichtung, Konkurrenzdruck und langen Arbeitszeiten eine Ursache für mehr Krankschreibungen mit psychischen Diagnosen. Aus Sicht der Mediziner gibt es für nicht so leistungsfähige Mitarbeiter immer weniger Platz in der Arbeitswelt. Ferner führe fehlender sozialer Rückhalt außerhalb der Arbeitswelt zu mangelnder Widerstandsfähigkeit gegenüber psychischen Beschwerden.oh