Mittelalterliche Schlüsselgrabung schlechthin

Archäologe Markus Wehmer zeigt bemerkenswerte Funde nach Notbergung an der Baustelle Petersilienwasser

Archäologe Markus Wehmer, EWG-Geschäftsführerin Birgit Rosenbauer und Fachbereichsleiter Frithjof Look (von rechts) mit einigen Fundstücken der Notgrabung Petersilienwasser.

Ein Zapfhahn befindet sich unter den Fundstücken, größere Mengen Keramik und Ziegel, Reste von Schwellbalken und Stützpfosten, ein Fingerhut, Munition, außerdem einige Münzen: Im Rahmen einer Notgrabung ist der Archäologe der Stadt Einbeck, Markus Wehmer, am Petersilienwasser tätig geworden, und die Funde zur frühen Siedlungsgeschichte der Stadt sind wirklich bemerkenswert. Gemeinsam mit dem Fach­bereichsleiter Stadtentwicklung und Bauen, Frithjof Look, hat er sie jetzt vorgestellt.

Einbeck. Im Rahmen einer Notbergung beim Anschluss des Schmutzwasserkanals des nördlichen der beiden neuen Häuser der Einbecker Wohnungsbaugesellschaft am Petersilienwasser sind Grabungen auf Flächen durchgeführt worden, die bislang nicht untersucht worden sind. Die Geschäftsführerin der Einbecker Wohnungsbaugesellschaft, Birgit Rosenbauer, staunte sehr darüber, welche Entdeckungen im Boden des Baugeländes schlummerten.

So hat Archäologe Markus Wehmer Reste eines auf 1268 datierbaren Schwellbalkens sowie Stützpfosten gefunden – damit lässt sich an dieser Stelle der älteste nachweisbare Holzbau in Einbeck nachweisen. Frühere Grabungen in unmittelbarer Nachbarschaft haben bereits Holzbefunde ergeben, die dendrochronologisch untersucht wurden; mit dieser Methode lässt sich der Holzeinschlag jahrgenau festlegen. Am Petersilienwasser floss früher das Krumme Wasser. An dessen kanalisiertem Ufer standen Fachwerkbauten. Weitere Funde lassen sich dem Ende des 13. und dem Anfang des 14. Jahrhundert zuordnen. Auch Mauerfundamente sind bei der fünftägigen Grabung entdeckt worden. Sie müssen noch datiert werden.

Vom Ende des 13. Jahrhunderts stammen Kugelbodentöpfe, deren Reste ausgegraben wurden, graue, irdene Ware. An einem Fundstück sind noch Rußspuren an der Außenseite zu erkennen, mit der der Topf über dem Feuer gestanden hat. »Die Töpfe wurden so lange benutzt, wie es ging, und dann hat man sie ins Petersilienwasser geworden«, erläutert Markus Wehmer. Der Bachlauf sedimentierte so nach und nach, und schließlich wurde er ganz verfüllt – ein Glück für heutige Archäologen, denen sich so eine Menge Funde offenbaren.

Der Bereich um das Petersilienwasser, das weiß man aus früheren Untersuchungen, war das letzte Viertel, das in der Einbecker Innenstadt bebaut wurde. Hier lebten keine reichen Bürger, sondern Handwerker, vor allem Gerber und Schuster, »aber arme Leute waren das auch nicht«, stellt der Archäologe fest. So hat er den typischen Wellenfuß eines Siegburger Zylinderhalskrugs aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts gefunden. Derartiges Geschirr war im Gebiet der Hanse weit verbreitet als »Luxus des kleinen Mannes«, erläutert der Archäologe. Steinzeug habe es auch von regionalen Töpfern gegeben, aber die Bewohner legten offenbar Wert auf dieses besondere Geschirr.

Auch die Fläche hinter den neuen Häusern, auf der Parkplätze entstehen, konnte untersucht werden. Hier ist Stadtbrandschutt von 1540 gefunden worden: zahlreiche verziegelte Scherben, Dachziegel und auch Reste von Sollingsandsteinplatten, mit denen die Dächer gedeckt waren. Keramik war bunt und glasiert, damit die Gefäße dicht waren, und es lassen sich auch Ofenkacheln bestimmen.

Eine Besonderheit ist der Zapfhahn eines Bierfasses vor 1540, und er sieht tatsächlich aus wie ein Hahn. Diese Exemplare waren ab dem Ende des 15. Jahrhunderts im gesamten Norden und rund um die Ostsee verbreitet. Seit 15 Jahren ist das der erste Zapfhahn, der in Einbeck entdeckt wurde.
Bei der Suche mit einem Metalldetektor wurden Münzen gefunden, beispielsweise ein Einbecker Körtling aus dem 16. Jahrhundert und ein Lilienpfennig aus Straßburg vom Ende des 14. Jahrhunderts. Er wurde vermutlich als Rechenpfennig genutzt, also als Rechenhilfsmittel. »Das ist der erste Fund dieser Art in Einbeck«, freut sich Markus Wehmer.

Sogar aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert stammt ein römischer Silberdinar, der in Einbeck seine Zweit- oder Drittnutzung gefunden hatte. Die Restaurierung, ist der Archäologe sicher, werde ein lorbeerumkränztes Kaiserportrait zu Tage treten lassen.

Zu den Funden zählt weiter ein Stück eines Bronzestövchens. Auch das bewertet der Experte so, dass hier ein gewisser Wohlstand geherrscht habe. Außerdem konnten die Bewohner lesen, denn auch eine metallene Buchschließe aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts konnte Wehmer präsentieren. Was es mit dem Rand einer kleinen Bronzeglocke auf sich hat, muss noch erforscht werden, eventuell handelt es sich auch um einen Schröpfkopf. Im Brandschutt ist schließlich ein kleiner Fingerhut aufgetaucht – aus der Zeit vor 1540 und somit der bisher älteste in Einbeck.

Wehrhaft waren die Altvorderen obendrein: »Wir haben 14 Musketenkugeln aus Blei gefunden, der Munitionsvorrat eines Bürgers«, berichtet er weiter.

Für eine nur fünftägige Notbergung sei die Menge der Gegenstände sehr groß, bilanziert er: Metall, Keramik, außerdem das sehr seltene Leder. Auch die Schuhe wurden seinerzeit einfach vor oder hinter dem Haus entsorgt, und so sind in einer zwei mal drei Meter großen Grube acht Lederschuhe entdeckt worden. »Einbeck Petersilienwasser« heißt der Typ, den eine Wissenschaftlerin für diesen bereits früher an dieser Stelle gefundenen Schuh geprägt hat: Sie waren flach, ohne Spitze und mit umgekrempeltem Rand.

»Danke, dass wir hier graben durften«, wandte sich Markus Wehmer an Birgit Rosenbauer. Die Funde werden nun aufgearbeitet, sie sollen anschließend in einer kleinen Ausstellung im StadtMuseum gezeigt werden, kündigte er an. Die umfassende Auswertung des Petersilienwassers steht noch aus. »Für die Mittelalterforschung ist das die Schlüsselgrabung schlechthin.« Das sei allerdings kaum bekannt. Hier seien Spuren vom 13. bis zum 20. Jahrhundert zu finden – in bis zu 16 Schichten übereinander.ek