Nach besseren Lösungen als Gitter und Gurt suchen

Amtsgericht Einbeck will mit Werdenfelser Weg freiheitsentziehende Maßnahmen in Heimen verringern / Verfahrenspfleger einschalten

Bauchgurte, Bettgitter, Vorsatztische: Fixierungen in Pflegeeinrichtungen können verringert werden. Das ist der Ansatz des sogenannten Werdenfelser Weges, der auch im Bereich des Amtsgerichts Einbeck beschritten werden soll. Ziel ist die erhebliche Reduzierung von freiheitsentziehenden Maßnahmen, wobei sie in den Häusern der Region ohnehin wenig zum Einsatz kommen. Über die Voraussetzungen haben sich jetzt Vertreter von Pflegeeinrichtungen im Raum Einbeck informiert. Richterin Martina Sievert-Mausolff, Verfahrenspfleger Hans-Henning Hannemann und Betreuerin Britta Slawski-Ehreke skizzierten, was dabei möglich ist.

Einbeck. Etwa 23 Prozent der Bewohner von Pflegeeinrichtungen im Raum Einbeck-Dassel würden regelmäßig fixiert, berichtete Richterin Martina Sievert-Mausolff. Der Werdenfelser Weg ermögliche einen Rückgang um 30 Prozent. Entwickelt wurde die Idee im Landkreis Garmisch-Partenkirchen von Dr. Sebastian Kirsch. Seit 2007 hat die Initiative dort zu einer erheblichen Reduzierung von Fixierungsmaßnahmen in Pflegeeinrichtungen geführt. Fixierungen bedeuten, so der Ansatz, einen Verlust an Lebensqualität. Damit verbunden ist häufig auch psychischer und physischer Abbau. Zudem kann der Einsatz von Bettgittern und Gurten gefährlich sein für die Bewohner. Andererseits werden sie oft eingesetzt, damit sich die Einrichtungen vor Regressansprüchen schützen können, falls ein Bewohner bei Nichtfixierung stürzt und sich verletzt.

Der Werdenfelser Weg setzt auf spezielle Verfahrenspfleger für das gerichtliche Genehmigungsverfahren von Fixierungen. Sie werden fachlich fortgebildet, so dass sie über eine Kombination von pflegerischem Fachwissen und juristischen Informationen verfügen. Der Verfahrenspfleger bespricht im Auftrag des Gerichts jeden Fixierungsfall individuell und stellt gemeinsam mit dem Heim und den Angehörigen des Bewohners Alternativüberlegungen an. Ziel soll eine gemeinsam getragene Abschätzung dazu sein, wie im konkreten Fall das Verletzungsrisiko durch Stürze, aber auch die Folgen einer angewendeten Fixierung einzuordnen sind. Dabei wird gerade auch auf den Verlust an Lebensqualität durch Fixierung und die physischen und psychischen Verschlechterungen geschaut. Oft stellt sich dabei heraus, dass eine Fixierung fachlich und juristisch mit allen negativen Auswirkungen nicht zu rechtfertigen ist.

Als Fachkrankenpfleger und Gutachter beim Sozialgericht sowie Betreuer hat sich Hans-Henning Hannemann aus Herzberg in diesem Bereich fortgebildet. Im vergangenen Jahr hat er bei Dr. Sebastian Kirsch, der den Werdenfelser Weg entwickelt hat, eine entsprechende Ausbildung absolviert. Es gebe, betonte er im Gespräch mit den Vertretern der lokalen Einrichtungen, angenehmere Möglichkeiten, als die Bewohner festzubinden.Aus Sicht der Angehörigen sei ein Oberschenkelhalsbruch oft schlimmer als ein Bettgitter, berichtete Richterin Martina Sievert-Mausolff aus der Praxis. Die Entscheidung darüber, was mit den Bewohnern geschehe, dürfe nicht allein am Pflegepersonal hängenbleiben, sondern Angehörige und Verfahrenspfleger müssten mit eingebunden werden, wenngleich die letzte Entscheidung doch das Gericht treffe. Unterstützt werde dieser neue Ansatz durch die Heimaufsicht, wobei Einbeck bisher das einzige Amtsgericht im Landkreis Northeim sei, dass sich auf diese Weise mit dem Thema auseinandersetze.

Das Werdenfelser Modell finde inzwischen bundesweit Resonanz, denn entscheidend seien die Einzelfalllösungen. Dabei, berichtete Hans-Henning Hannemann, gebe es verschiedene Möglichkeiten, beispielsweise ein Niederflurbett, das die Risiken eines Sturzes aus dem Bett erheblich vermindere und vielleicht ein Bettgitter überflüssig mache. Ein Problem, gab Hannemann zu bedenken, sei die Beschaffung der erforderlichen Hilfsmittel. Sie seien in der Regel teuer, und das könne zum Problem werden. Die Niederflurbetten etwa haben die Einrichtungen zu finanzieren. Sogenannte Walker, die das selbstständige, aber dennoch gesicherte Gehen ermöglichen, kann die Einrichtung zahlen, sie muss es aber nicht. Angehörige seien, so die bisherige Erfahrung, dafür häufig nicht heranzuziehen. Allerdings: Wenn der Bewohner sich selbst noch für entsprechende Schutzmaßnahmen aussprechen könne und das auch tue, werde man sich daran halten. Auch bei immobilen Bewohnern, die auf diese Weise geschützt werden, können die Einrichtungen bleiben – eine entsprechende Pflegedokumentation unterstützt das.

Sollen Heimbewohner fixiert werden, ist ein »Antrag zur Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen« beim Amtsgericht zu stellen. Damit verbunden ist eine ärztliche Stellungnahme. Als nächsten Schritt wird der Verfahrenspfleger eingeschaltet, ein Anhörungstermin wird vereinbart. Innerhalb kurzer Zeit soll eine Einschätzung erfolgen. Ergeht eine Entscheidung zur Fixierung, hat sie maximal zwei Jahre Gültigkeit, dann wird neu geprüft. Eine Aufhebung des Beschlusses ist möglich, wenn die Fixierung nicht mehr erforderlich ist; auch hier gibt die Pflegedokumentation Aufschluss.

Gemeinsam wollen die Beteiligten nun vor Ort sehen, wie das Verfahren anläuft und sich in etwa einem halben Jahr erneut zum Erfahrungsaustausch treffen. ek