Nachhaltigkeit muss Teil der Kultur werden

Früherer FDP-Minister Hirche wirbt in Einbeck bei Vortrag für Naumann-Stiftung für Chancen der Globalisierung

Einbeck. »Eine Zukunft für unsere Kinder – Chancen und Risiken der Globalisierung« lautete das Vortragsthema, mit dem der frühere niedersächsische Wirtschaftsminister Walter Hirche nach Einbeck gekommen war. Globalisierung bedeute die Öffnung von Gesellschaften und weltweite kulturelle Vernetzung. Sie habe aber auch Schattenseiten wie Armut, Hunger und ungleiche Machtverhältnisse, stellte er fest. Auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der Rudolf-von Bennigsen-Stiftung beleuchtete er im Rahmen der Reihe »Facetten der Globalisierung« die Aspekte Verantwortung und Nachhaltigkeit. Viele Interessierte waren in den PS.SPEICHER gekommen, um Hirches Standpunkte und Analyse zu hören. Für die Friedrich-Naumann-Stiftung hieß Jacoba Kanne die Besucher willkommen, begeistert über den guten Zuspruch. Es sei geplant, die Reihe etwa zweimal im Jahr fortzuführen, kündigte der Vorsitzende des FDP-Bezirksverbandes Südniedersachsen, der Landtagsabgeordnete Christian Grascha, an. Globalisierung sei mit Blick auf die Risiken ein eher negativ besetzter Begriff – den Stiftungen komme es aber darauf an, die Chancen deutlich zu machen. Globalisierung sei da, man könne sich nicht aussuchen, ob man mitmache  oder nicht, sagte Walter Hirche. Die Auswirkungen seien sowohl heute und morgen als auch für künftige Generationen zu spüren. »Alles hängt mit allem zusammen«, so Hirches These – Globalisierung ebenso wie Sicherheits- oder Umweltfragen oder Nachhaltigkeit als übergeordnet für alle Felder der Politik. Mit Blick auf Umweltverträglichkeit sei er beispielsweise sicher, dass es innerhalb der nächsten 20 Jahre emissionsfreie Fahrzeuge geben werde. Beim Biosprit müsse man aber die Frage »Tank oder Teller?« beantworten. Energie und Wasser seien weltweite Themen, die aus den Industrieländern in die Welt getragen würden. Alle Länder der Erde forderten ihren gerechten Anteil an der Weltentwicklung und dass die Lasten gleich verteilt würden. Milleniums-Entwicklungsziele seien ab 2015, Hunger und Armut um die Hälfte zu reduzieren und die Bildung zu erhöhen. Zugleich seien gravierende Umweltprobleme zu lösen, etwa die immer stärkere Verschmutzung der Meere durch Plastik, das wiederum in die Nahrungskette verlange. Wasser werde auch auf diesem Weg zum potenziellen Konfliktthema für die Zukunft. Die Menschen wollten ihre Grundlagen gesichert sehen. Während ein Bauer heute 88 Personen ernähren könne, seien es um 1900 nur drei gewesen. Die Landwirtschaft habe eine ungeheure Entwicklung genommen und und sie werde fortgesetzt, etwa durch Gentechnik. So bedeute gentechnisch veränderter Raps eine deutliche Stickstoffverringerung. Hirche plädierte für Abwägen statt Verteufeln: in Entwicklungsländern würden viele Dinger ganz anders gesehen als hier. »Wir sollten nicht mit dem Oberlehrer-Finger durch die Welt gehen.« Die Wanderungsbewegung aus Afrika zeige Folgen, aber Flüchtlinge abzuwehren, sei kein Zukunftskonzept. Vielmehr müsse man in anderen Regionen etwas verbessern, »sonst wird es bei uns schlechter.« Die Sicherheit in Deutschland habe etwas damit zu tun, dass die Lebensverhältnisse in anderen Teilen der Welt in Ordnung seien. Deutschland müsse seine Hausaufgaben machen in Sachen Nachhaltigkeit. Das Rentensystem beispielsweise halte er in keiner Weise für nachhaltig, so der Liberale. Das Muster von Vor-, Nach- und Selbstsorge sei durchbrochen. Der Sozialbereich falle nicht unter Nachhaltigkeit. Die UNO habe 2005 die Dekade der Nachhaltigkeit ausgerufen. Viele Projekte seien dabei umgesetzt worden, beispielsweise im Umweltsektor. In Lehrpläne und -programme sollte das Thema aufgenommen werden als Ansatz quer durch alle Fächer, so seine Anregung: Vernetzung statt Schubladen. Dabei komme es darauf an, die Menschen mitzunehmen und vor allem die junge Generation mit einzubeziehen. Der Staat könne viel anordnen, aber wenn die Menschen nicht mitmachten, sei alles für die Katz’. Motivation und Begeisterung könne man über Elternhaus und Schule vermitteln. »Was Hänschen nicht lernt ...«, dieser Spruch habe immer noch Berechtigung, denn was man als Kind nicht begreife, werde man später nur schwer akzeptieren. Er werbe, so Hirche, für eine Mitwirkung an nachhaltigem Gestalten, für Toleranz und eine offene gesellschaftliche Diskussion. Das anschließende lebhafte Gespräch mit den Zuhörern drehte sich zunächst um die Energiewende: Ist sie nachhaltig? Es sei nicht möglich, auf Kohle und Kernenergie gleichzeitig zu verzichten, so der Referent. Das Thema 380-kV-Trasse sollte man nicht isoliert betrachten. Es gebe die Chance auf technologische Weiterentwicklung. Mit Blick auf strukturelle Veränderungen in der Region werde nicht jedes Dorf zu erhalten sein; das, was bleibe, müsse aber attraktiv sein. Als wichtig für die Entwicklung gerade in ländlichen Regionen nannte er die Gesundheitsvorsorge. Vom Ärztemangel gehe eine große Gefahr aus. Die Zukunft könne man nicht gewinnen mit Minus-Wachstum beziehungsweise Schrumpfung, warnte er. Eine große Gefahr für die Freiheit sei die Kurzfristigkeit des Denkens: In der Politik sei das aber so organisiert – dabei müsse Nachhaltigkeit Teil der Kultur sein.ek