»Noch einmal Mist, dann geht es in den Bau«

20-jähriger Einbecker vor dem Jugendschöffengericht | 200 Euro und Handy geraubt | Neun Monate auf Bewährung

Einbeck. Neun Monate Jugendstrafe auf Bewährung und 120 Stunden soziale Arbeit: Das Jugendschöffengericht beim Amtsgericht Einbeck hat sich nicht einwickeln lassen von der »Geschichte«, die der angeklagte 20-Jährige dazu erzählte, warum er einen 48-Jährigen bedrängt und ihm 200 Euro aus dem Portmonee genommen hat. Und auch einen Handy-Raub, den der Angeklagte rundweg abstritt, hat ihm das Gericht angelastet.

Ob der junge Mann, der polizeilich vorgeführt werden musste, komplett verstanden hat, was ihm vorgeworfen wurde, darf man bezweifeln: Die Fragen von Amtsgerichtsdirektor Thomas Döhrel nach Familienstand und Staatsangehörigkeit konnte er nicht beantworten. Die Anklage lautete auf Raub. Am Morgen des 6. April soll er einen alkoholisierten 48-Jährigen in der Innenstadt bedrängt und ihn dazu gebracht haben, am Geldautomaten 250 Euro abzuheben, von denen er ihm 200 Euro aus dem Port­monee genommen hat. Am 20. Juli hat er einen an­getrunkenen 27-Jährigen im Rosental ebenfalls be­drängt, geschubst und ihm sein Handy abgenommen, möglicherweise auch 50 Euro.

Ganz anders sei es gewesen, sagte der Angeklagte. Er habe sich nämlich von dem 48-Jährigen in einer Bar belästigt gefühlt, und es seien ihm 200 Euro für Sex angeboten worden. Das Geld habe er ohne Gegenleistung genommen. Beim Handy-Raub sei er nicht dabei gewesen.

Der bestohlene 48-Jährige blieb bei seiner Aussage: Er sei dem 20-Jährigen nach einem ausgiebigen Kneipenbummel begegnet. Der wollte Geld von ihm, um nach Göttingen zu kommen. Der Jüngere sei deutlich größer als er, er selbst ordentlich angetrunken, er habe sich bedroht gefühlt und 250 Euro abgehoben: »Was willste machen?« Der Angeklagte habe ihm das Portmonee aus der Hosentasche gezogen, 200 Euro genommen und sei verschwunden. Er habe ihm kein Geld für Sex geboten, »mit Sicherheit nicht«, und schwul sei er auch nicht. Er selbst, so der Zeuge, sei gefrustet zum Möncheplatz gegangen, wollte mit dem Taxi nach Hause. Der Taxifahrerin habe er auf der Fahrt von dem soeben Erlebten berichtet, und sie habe ihn überredet, bei der Polizei Anzeige zu erstatten. Sie habe ihn erst zur Bank gefahren, wo er einen Kontoauszug holte, und an­schließend zur Wache.

Die Taxifahrerin bestätigte die Aussage: Dies sei, erinnerte sie sich, an diesem Morgen der erste Fahrgast ihrer Schicht gewesen. »Mir ist da was passiert ...«, damit habe er ihr das Geschehen geschildert. Sie sei entsetzt gewesen, habe ihn zur Anzeige überredet und ihn zur Polizei gefahren.

Diesen Ablauf unterstützte der als Zeuge aussagende Polizeibeamte. Auf den Fotos vom Geldautomaten habe man den Angeklagten »ganz zweifelsfrei« erkannt. Der habe bei seiner Vernehmung eine »tolle Geschichte« erzählt, erinnerte sich der Beamte. Aber alles habe hinten und vorne nicht gepasst.

Der Barkeeper aus der Kneipe, in dem der 20-Jährige den 48-Jährigen kennengelernt haben will, erkannte den Älteren als regelmäßigen Gast. Der sei keiner, der in der Kneipe Jungs angrabe, sagte er dem Gericht. Auffällig sei vielmehr der Angeklagte, er habe in der Bar nämlich Hausverbot.

Zum Handy-Raub sagte das 27-jährige Opfer, er sei auf dem Rückweg aus einer Disco gewesen. Unterwegs habe sein Bruder, der noch feierte, ihn angerufen. Er sei ans Telefon gegangen und habe wohl gelallt. Aus Richtung Altendorfer Straße seien drei junge Männer auf ihn zu gekommen. Sie hätten ihn herumgestoßen und sein Handy weggerissen. 50 Euro fehlten ebenfalls, wobei er nicht sagen könne, ob sie die genommen hätten. Das Handy hätten sie ihm abgenommen, da sei er sich trotz seines damaligen Zustands nahezu sicher. Die Anzeige habe er erst am nächsten Tag von Hannover aus, seinem Wohnort, erstattet, nachdem er bei der Polizei nach dem Handy gefragt habe. Er habe, sagte der damals zuständige Beamte aus, nachgebohrt und eine entsprechende Anzeige aufgenommen. Mit der Per­sonenbeschreibung sei man auf den »amtsbekannten« 20-Jährigen gestoßen.

Die Staatsanwältin hielt den 48-jährigen Zeugen für absolut glaubwürdig. Eine solche Geschichte könne sich kein Betrunkener ausdenken und durchhalten. Der Angeklagte wiederum habe nur eine Schutzbehauptung aufgestellt. Nicht glaubhaft sei auch seine Aussage zum Handy-Raub, sie habe keinen Zweifel, dass er daran beteiligt sei. Als Strafmaß beantragte sie 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit, um den Angeklagten, der nichts Sinnvolles mache, an einen geregelten Tagesablauf heranzuführen.  »Großer südländischer Typ mit Baseballkappe«, diese Zeugenbeschreibung reiche ihm nicht aus im Falle des Handy-Raubs, so Verteidiger Marc Hainski. Vielleicht sei die Tat nicht so gewesen wie geschildert, vielleicht handele es sich um eine »einfache Wegnahme«. Bei den 200 Euro sei die Sache schwieriger, aber auch hier könnte die Zeugenaussage durch Alkohol beeinflusst sein. Die Geschichte seines Mandanten halte er allerdings für vollkommen hergeholt, räumte er ein. Da keine Gewalteinwirkung im Spiel gewesen sei, könne man von Diebstahl statt von Raub ausgehen. Bezüglich dieser Anklage sollte es einen Freispruch geben.

Das Gericht befand den 20-Jährigen des Raubes und des gemeinschaftlichen Raubes für schuldig und verhängte eine Jugendstrafe von neun Monaten auf Bewährung. Den 48-Jährigen, der deutlich kleiner sei als er, habe er als leichtes Opfer erkannt, er habe ihm mit körperlicher Überlegenheit gedroht. Was der Zeuge berichtet habe, habe das Gericht überzeugt. So etwas könne er sich nicht ausgedacht haben. Im Gegenteil sei die Version des Angeklagten unglaublich. Nach so einer peinlichen Geschichte ginge bestimmt niemand zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Raub gelte auch für den zweiten Fall: Wer einen Betrunkenen schubse, übe Gewalt aus, und die Wegnahme von Dingen sei Raub. Der Zeuge habe ihn zudem eindeutig erkannt. Er möge die Formulierung »südländischer Typ« nicht, so Richter Döhrel, aber es gebe nicht viele Personen in Einbeck, die so auffällig durch die Nacht liefen. Der Angeklagte wohne noch zuhause, habe keinen Schulabschluss, keinen Job, er hänge rum und lebe vom dem, was ihm zufalle. Die geistige und sittliche Reife fehle ihm, aber das werde auch mit 25 Jahren noch so sein. Es sei Jugendstrafrecht anzuwenden. Der Angeklagte habe kein Unrechtsbewusstsein gezeigt, und es gebe Vorbelastungen. Er sei nicht ordentlich erzogen, es  gebe erhebliche charakterliche Defizite. Da er keine Besserung gelobt habe, sei das Mindeststrafmaß nicht ausreichend. Die Bewährung spreche das Gericht aus in der Hoffnung, dass keine weiteren Straftaten folgen würde. Die Strafe sollte der Angeklagte als Drohung sehen: Mache er nochmal Mist, gehe er für neun Monate in den Bau. Die Bewährung läuft über drei Jahre. »Arbeiten schadet nicht«, deshalb wurden zusätzlich 120 Stunden gemeinnütziger Arbeit verhängt.ek