Mauerfall 1989

Novembertage vor 30 Jahren in Einbeck

Als Trabis und Wartburgs das Stadtbild prägten | Aktion »Herzlich Willkommen«

Der Aufmacher der Einbecker Morgenpost am 10./11. November zum historischen Ereignis vom 9. November 1989.
Irmhild und Walter-Wilhelm Funcke mit dem befreundeten Ehepaar Monika und Franz Gotthardt 1989.
Irmhild und Walter-Wilhelm Funcke mit dem befreundeten Ehepaar Monika und Franz Gotthardt heute.

Einbeck. 30 Jahre Mauerfall – wie war es im November ‘89 eigentlich in Einbeck? Am 9. November hieß der Aufmacher der Einbecker Morgenpost noch »SED baut Parteispitze um – Modrow soll Regierung führen«, am 10. November wurde der Wortlaut der neuen DDR-Reiseregelung abgedruckt, und am Wochenende hieß es dann »Grenzenloser Jubel eint die Deutschen«.

Der Einbecker Walter-Wilhelm Funcke fuhr bereits am 10. November an die Grenze bei Gerblingerode/Teistungen und beobachtete die »Wahnsinns-Trabimenge«. Seit der letzten Kriegsheimkehrerflut 1955 nach Friedland habe er nicht mehr so viel Menschen weinen sehen, schildert er seine Eindrücke. Duderstadt hieß am 11. November »Trabitown«, so Funcke. Mit Ehefrau Irmhild lud er spontan eine fremde Familie, die Gotthardts aus Heiligenstadt, nach Einbeck ein: Es entwickelte sich eine intensive Freundschaft zu Franz und Monika, ihrer Familie und ihren Freunden, die bis heute hält.

Der Hochschornsteinbauer Franz staunte über die vielen, kaum rauchenden Schornsteine im Westen. Man unternahm auch gemeinsame Reisen, und oft traf man sich am Grenzlandmuseum Teistungen zu Kaffee und Kuchen. Einmal allerdings vertrieben Sicherheitskräfte die Gruppe. Kurz darauf fuhr Gorbatschow vorbei, auf dem Weg zur Einweihung des »West-Östlichen Tors« zwischen Teistungen und Duderstadt.

Bereits am 11. und 12. November, so die »EM«, kamen Viele zu einer Stippvisite in die Einbecker Innenstadt. An beiden Tagen zahlte das Sozialamt mit Norbert Sittel und Hannelore Hase 161 DDR-Bürgern Begrüßungsgeld aus.

Durch das Treffen mit Gotthardts entstand bei Funcke die Idee, derartige Kontakte vielen Einbecker Bürgern zu ermöglichen. Mit Rainer Koch, damals Commerzbank-Leiter, begründete er am 14. November spontan die Bürgerinitiative »Herzlich Willkommen«. Die Einbecker Bevölkerung und Geschäftsleute, die Ilmebahn (Bernd Amelung), KWS mit einem Kleinbus und die Stadtverwaltung mit Werner Faß vom Ordnungsamt, unterstützten das Ganze.

Ab Grenze Duderstadt/Worbis 1.200 Einladungen verteilt

Am Sonnabend, 18. November, standen Funcke, Emil Hennecke im Eulenspiegel-Kostüm, Ehrenfried Zillich, Hans Blaschke und Funckes Tochter Kathrin von 7 bis 10.30 Uhr am Grenzübergang Duderstadt-Worbis. Sie verteilten 1.200 Einladungen nach Einbeck – Handzettel mit Weg­beschreibungen und Stadt­prospekte – sowie Obst, Süßigkeiten und kleine Geschenke für die Kinder, schrieb die Einbecker Morgenpost. Wegen Überfüllung der grenznahen Städte waren viele für den Einbeck-Hinweis dankbar. Mit zwei Bussen brachte die Ilmebahn 110 Gäste kostenlos von Bad Harzburg nach Einbeck – nachmittags auch wieder zurück. Transportbestimmungen verboten die direkte Grenzfahrt. Dazu kamen noch die mobilen DDR-Besucher, so dass die »EM« am 20. November titelte: »Trabis und Wartburgs gehörten zum Stadtbild«. Post, Sozialamt und Commerzbank öffneten und zahlten insgesamt 430 Mal Begrüßungsgeld aus – in der Bank auch mit Kaffee und Kuchen. Zwischen 9 und 10 Uhr wurden die Busse auf dem Möncheplatz erwartet, begrüßt von Wilhelm Dörge, damals Bürgermeister.
Ostmark in den Geschäften

Viele Geschäfte nahmen Ostmark an, Gasthäuser boten vergünstigtes Essen an, und der Wochenmarkt schloss erst um 16 Uhr. Unbefangene Gesprächskontakte knüpfte man auch im Diakonischen Zentrum – das Info-Café sollte bis Weihnachten an jedem Wochenende öffnen. Funckes Fazit: »Eine gelungene Aktion!« Das waren nur einige der Eindrücke aus dem November 1989 in Einbeck. Die Initiative und viele andere arbeiteten weiter.

Partnerstadt-Jubiläum mit Artern am 2. Juli 2020

Die Deutschland-Entwicklung ist bekannt. Die weitere Einbecker Entwicklung mit und in der Stadt Artern, das große Engagement von vielen Seiten, das Zustandekommen der Städtepartnerschaft, wird im nächsten Jahr noch Thema sein, wenn am 2. Juli das 30-jährige Partnerstadt-Jubiläum gefeiert wird. Einige der damaligen Mitgestalter wie Pfarrer Manfred Gerboth, Initiator der Bürgerprotestversamm­lungen in Artern und Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung ab 29. Mai 1990 (aus dem Nachruf des Arterner Ehrenbürgers W.W. Funcke), können dies nicht mehr erleben.

Funckes Aufzeichnungen, aus denen hier teilweise zitiert wurde, von 1989 bis 9.November 1991, dem Einweihungstag des »Einbeck-Zimmers« im Altenheim Artern sind nachzulesen in Band 8 des Vereins »Aratora«.des