Raptorium: Bachs Oratorium kleidet sich in neuem Gewand

Mehr als 80 Künstler präsentierten Bachs bekanntes Werk als moderne Version mit eingängigen und abwechslungsreichen Liedern

»Liebe ist die Lust am Leben und die Magie des Moments«, verkündete Jesus (Tobias Kunze) im Weihnachts-Raptorium, einer modernen Version des bekannten Werkes von Johann Sebastian Bach. Unter der Leitung von Christoph van Hal präsentierten rund 85 Jugendliche im Wilhelm-Bendow-Theater und in der Jugendkirche »marie«, wie die barocken Kompositionen durch moderne Arrangements und unterschiedliche Stilelemente aus Rap, Rock, Hip-Hop, Breakdance und Beatbox »aufgepeppt« werden können.

Einbeck. Aufbauend auf den Erfahrungen mit der Rapoper »Culture Clash«, angelehnt an die »Entführung aus dem Serail« von Wolfgang Amadeus Mozart und den Musikvideo-clips zu Richard Wagners »Rheingold« im Jahr 2010 hatte das »MusikZentrum« Hannover in Kooperation mit der Jugendkirche Hannover und der Jugendkirche »marie« die Idee, das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach als Raptorium im neuen Gewand aufzuführen. Christoph van Hal befasste sich mehr als ein Jahr lang musikalisch und textlich mit dem Projekt, um Arrangements zu finden, die dem Gedanken des »Reloads« – der geglückten Vermischung aus Vergangenheit und Gegenwart – entsprechen. Unterstützung erhielt er von Rafael »Spax« Szulc-Vollmann (künstlerische Leitung »Rap«) und Katrin-Helmerichs Naujok (Choreografie) sowie vom Gitarristen Jens Eckhoff (»Wir sind Helden«) und dem Bassisten Lars Lehmann.

Zusammen mit 85 jungen Künstlern zwischen elf und 31 Jahren probten die Initiatoren mehrere Monate, um Bachs Werk im jugendlichen Kontext darzustellen. Sie präsentierten Bachs Oratorium als imponierendes Kunstwerk, dessen moderne Version pompöse klassische Elemente aufwies, wie auch sinnliche Klänge, gerappte Sequenzen, untermalende Choreografien, eingängige Textpassagen oder instrumentale Parts, die einer Rock-Oper glichen.

»Jesus« (Tobias Kunze) kehrt nach 2.000 Jahren auf die Erde zurück, und er merkt schnell, dass die Welt und die Bedürfnisse der Menschen sich verändert haben. Zwar gibt es noch »ora et labora« (beten und arbeiten) und die Kirchen als verstaubte, unmoderne Tempel, doch scheint bei den Gläubigen die Leidenschaft verloren gegangen zu sein. Früher habe er die Menschen noch zusammentrommeln können, so Jesus, doch klappe das in der heutigen Zeit nicht mehr. Statt Krieg, Ungerechtigkeit, Not und Leid interessierten die »Laissez-faire« Typen nur noch Festivals, Töne aus kleinen Geräten, unsinnige Fernsehsendungen und soziale Netzwerke, die die Menschen total vereinnahmten. Er erklärte, dass die Liebe, die die Lust am Leben und die Magie des Moments sei, das Wichtigste auf Erden darstelle und dass Jesus in jedem stecken könnte, um mit Taten – statt nur mit Worten –, der emanzipierten Welt zu helfen.

Ähnliche Aussagen präsentierten Ewgeniy Ussach und Selina Abramowski in ihren gesungenen und gerappten Darbietungen. Während Ussach im Rap-Outfit seine Verse in ungewöhnlicher Geschwindigkeit inszenierte, zeigte Abramowski mit ihrer klassischen Gesangsausbildung, wie vielfältig diese eingesetzt werden kann, bis hin zu aufeinander abgestimmten Rap-Dialogen. Beginnend mit »Es begab sich aber zu der Zeit« über »Er ist auf Erden gekommen arm«, »Jauchzet, frohlocket« bis hin zu »Erleuchtet auch meine finsteren Sinne« stellten sie ihre Ausdrucksstärke und ihre umfangreiche Vielfalt dar. Voluminös unterstützt von den 35 Sängern des Chores thematisierten sie, dass gemäß der Lieder »Wo ist der neue König« und »Großer Herr und starker König«, nicht weggeschaut und im Übermaß agiert, sondern in Einklang mit den Menschen und in großer Hilfsbereitschaft gelebt werden sollte.

Den Zuhörern wurde mit den vorwiegend popkulturellen Kompositionen die vielschichtige musikalische Sprache Johann Sebastian Bachs näher gebracht und somit ihr Erfahrungshorizont erweitert. Dadurch, dass das Raptorium auch neu konzipierte Anteile enthielt, war das Projekt nicht nur ein einseitiger Verstehenszugang zur Barockmusik, sondern ein Dialog zwischen den unterschiedlichen musikalischen Welten der Historie und der Moderne. Die vorurteilsfreie Herangehensweise überraschte viele Zuhörer, wie auch das imposante und immer wieder neu gewandte Klangspektrum, so dass die Akteure den verdienten Applaus erhielten.mru