Schlaglichter in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts

50 Jahre in Einbeck im Zeitraffer / Schleppender Wiederaufbau / Bauphase des Barock / Marktkirchturm schief: Alle Kanonen verkauft

1648 war der Dreißigjährige Krieg zu Ende. Millionen Menschen waren gestorben und Deutschland lag in Trümmern. Auch die Stadt Einbeck war vom Krieg schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. 50 Jahre später hatte sich die Stadt immer noch nicht erholt. Die Zustände waren mittlerweile nicht mehr erträglich. Es kam zu Unruhen in der Bevölkerung. Rat und Gilden konnten keine Lösung finden, und die Regierung griff ein. Herzog Ludwig erließ eine neue Stadtverordnung. Dadurch wurden die Stadtverwaltung und das Kämmereiwesen neu geordnet, um den Weg zur wirtschaftlichen Entfaltung frei zu machen.

Einbeck. Die neue Stadtverordnung trug schnell Früchte. Nach und nach siedelten sich auswärtige Handwerker, viele davon aus Thüringen, in Einbeck an. Darüber hinaus suchte die Stadt nach Investoren. Damals waren das bevorzugt Fabrikanten für Tuch-, Flanell- und Zeugverarbeitung, sowie für Rasch, eine spezielle Wollverarbeitung). Im Jahr 1709 gründeten die Brüder Borcholte aus Schlänz in der Einbecker Baustraße eine Flanell- und Tuchfabrik. Das war die erste Fabrik Einbecks. 1713 wurde das ehemalige Waisenhaus in der Baustraße eingerichtet. Die Kinder sollten die durch sie verursachten Kosten mit Wollspinnen abarbeiten. Kinderarbeit war in der Zeit der Industrialisierung nichts Ungewöhnliches, die damalige Gesellschaft sah darin nichts Verwerfliches.

Der Wirtschaftsfaktor der vergangenen Jahrhunderte war das Einbecker Bier. In der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs war die Produktion aber zum Erliegen gekommen. Um die Kasse zu füllen, verkaufte die Stadt Braulizenzen, so dass es zu einer regelrechten »Bierbrau-Inflation« kam. Das Bier war immer noch beliebt und suchte qualitativ seinesgleichen. Der Rat erließ eine neue Brau-Ordnung und führte das »Sozietätsbrauen« ein. 1709 schmolz der Kupferschmied Böning im Auftrag der Stadt zwei alte Braupfannen mit einem Gewicht von jeweils rund 900 Kilogramm ein und machte daraus eine neue. Aber trotz all dieser Anstrengungen und des Baus von zwei neuen Brauhäusern zwischen Löwenkreuzung und Amtsgericht ging das Brauwesen immer weiter zurück.

Auf dem Möncheplatz lag das Einbecker Zeughaus. Das war die Waffenkammer der Stadt Einbeck. Hier befanden sich bei einer Revision im Jahr 1702 unter vielem anderen 8.000 verschieden große Kanonenkugeln, 1.500 altertümliche und modernere Gewehre (davon ein großer Teil unbrauchbar), vier Mörser mit 2.500 Granaten und Bomben. Interessant ist der mittelalterliche Anteil der Waffen: drei Schlachtschwerter, 60 Lanzen und 90 verrostete Morgensterne. 20 Jahre später war das Zeughaus stark baufällig. Die Reparatur sollte 2.600 Taler kosten. Nach längerem Hin und Her entschloss sich der Stadtrat, das Gebäude abzureißen. Ein Teil der alten Waffen blieb in Einbeck. Man deponierte sie in der Neustädter Kirche, im Pulverturm und unter einer Bastion am Wall.

Das Stadtbild war noch lange von den Schäden des Dreißigjährigen Krieges gezeichnet. Von 1650 bis 1735 wurden 214 neue Häuser gebaut. Der maßgebliche Wiederaufbau setzte erst um 1720 ein. Bis zur Mitte des Jahrhunderts kamen 170 Häuser dazu. Die Gebäude des Barock waren bei weitem nicht mehr so aufwändig gebaut wie die Bürgerhäuser des 16. Jahrhunderts. Es waren Stockwerkbauten mit einer viel kürzeren Vorkragung als bei den Bürgerhäusern. Daran und am waagerechten runden Schwellbalken kann man sie beim Spaziergang durch die Altstadt erkennen.

1731 entstanden die Häuser unterhalb der Münsterkirche. Das alte Kantor-Haus wurde abgerissen und genauso wie das Organistenhaus neu gebaut. 1729 wurden in der Münsterkirche neue Fußbodenplatten verlegt. 1732 bestellte man eine neue Orgel für die Kirche. 1739 wurden viele Fenster ersetzt. Seit 1737 besaß die Münstergemeinde eine Feuerspritze.

1714 wurde Ernst Augusts Sohn Georg Ludwig (1660 bis 1727) unter dem Namen Georg I. König von Großbritannien und Irland und Titularkönig von Frankreich. Damit waren auch die Einbecker Bürger Untertanen der englischen Krone.

Von Juni bis Oktober 1740 besuchte der König seine niedersächsische Heimat. Auf dieser Reise kam er auch über die Hube bei Einbeck. Wegen der über die Hube verlaufenden Steigung war der Ort in ganz Norddeutschland bekannt beziehungsweise eher berüchtigt. Der Besuch des Königs dauerte gerade mal eineinhalb Stunden, doch für die Stadt Einbeck war das ein Großereignis. Der König kam mit großem Gefolge, zehn Wagen und vielen Berittenen auf der Hube an. Dort hatte sich der gesamte Stadtrat samt Gildemeistern und allen wichtigen Geschäftsleuten versammelt. Es wurden Reden gehalten - der Könige bedankte sich milde und ließ Wein holen. Der Hubewirt besorgte noch schnell einen Stuhl für den König. Offenbar feierten sie danach eine kleine Spontanparty: »in kurzer Zeit war ein großes Quantum an Flaschen geleert, worüber der Monarch indeß nicht scheel sah, denn er war selbst ein Freund des edlen Rebensaftes und befand sich in einer heitern Stimmung«. 1741 machten sich die Einbecker große Sorgen um den Marktkirchturm: Er neigte sich gefährlich zur Seite. Das Befestigen mit einer starken Stützmauer kostete viel Geld - Geld das in der Stadtkasse nicht vorhanden war. Die Baukosten wurden durch Kredite finanziert, doch zwei Jahre später fehlten die Mittel zur Tilgung. Der Rat entschloss sich zum Verkauf seiner noch verbliebenen 17 Kanonen. Schließlich hatte es seit fast 100 Jahren keinen Krieg mehr gegeben.

1748 wurden die Stifts- und die Ratsschule zusammengelegt. Die Ratsschule hatte damals sechs Lehrer, die Stiftsschule drei, und beide Schulen hatten zu wenig Schüler. Für die Fusion wurde das Schulgebäude am Neustädter Kirchplatz renoviert. Die Zahl der Lehrkräfte wurde auf sechs reduziert. und in den verbliebenen zwei Klassen erhöhte man das Schulgeld.

Die Bevölkerungszahl stieg seit dem Ende des Krieges von 3.700 auf 5.000 Einwohner. Das Brauwesen spielte nur noch eine kleine Rolle. Einer der Haupterwerbsbereiche war jetzt die Flanell- und Tuchmacherei. Die Zahl der Handwerker stieg von 274 auf 351 im Jahr 1709. Mitte des 18. Jahrhunderts waren in Einbeck fast 500 Handwerker angesiedelt. Der wirtschaftliche Aufschwung war nicht zu übersehen. Wenn es so weitergehen sollte, könnte Einbeck vielleicht an die Blütezeit im Mittelalter anknüpfen. Doch nur wenige Jahre später stand Deutschland wieder vor einem Krieg … .wk