Stolz sein und aus der Behäbigkeit rauskommen

Mitgliederversammlung zum Auftakt des Jubiläumsjahres: 150 Jahre SPD in Einbeck | Stark vor Ort, Kritik an Berlin

Der Unterbezirksvorsitzende und Landtagsabgeordnete Uwe Schwarz gratulierte der Einbecker SPD zum 150-jährigen Bestehen. Er bezog aber auch kritisch Stellung zur Lage der Partei insgesamt, und er forderte dazu auf, Profil und Konturen stärker zu zeigen.

Bei einer Mitgliederversammlung hat die Einbecker SPD an ihre Gründung vor 150 Jahren erinnert. Die Partei habe Anlass, stolz auf diese Zahl zu sein, auch wenn ihr das eigentlich fremd sei. Die Geschichte der SPD, die in einer Arbeit von Eckhard Koch zum 125-jährigen Bestehen bereits aufgearbeitet wurde, hat der Ehrenvorsitzende Martin Wehner detailliert für die Jahre ab 1945 fortgesetzt. Grundsätz­liche Überlegungen zur Situation der Partei gab es vom Unterbezirksvorsitzenden Uwe Schwarz.

Einbeck. Die Versammlung, kündigte der Abteilungsvorsitzende Kernstadt, Peter Traupe, an, sei der Auftakt zum 150-jährigen Bestehen. 1863 hatte Ferdinand Lassalle in Leipzig den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) gegründet. Bereits 1869 lässt sich ein Zweigverein in Einbeck nachweisen, nachdem Anfang der 1860er Jahre Zigarrenarbeiter und Schneidergesellen den Gesangverein »Lassalia« gegründet hatten; daraus ging der ADAV hervor. Mit Stolz könne man auf diese Tradition zurückblicken, auch wenn die SPD derzeit nicht im besten Zustand sei, wobei das mit der Arbeit vor Ort nichts zu tun habe. Man habe starke und leistungsfähige Fraktionen im Kreistag und im Stadtrat, und auch im Land werde in der Großen Koalition gut gearbeitet. Die Ursache liege in Berlin, wo die SPD kaum als eigenständige politische Kraft wahrgenommen werde. »Opposition ist Mist«, diese Aussage von Franz Müntefering könne er nicht unterstreichen, aber vielleicht wäre das heute nicht das Schlechteste.

Als Landrätin und Genossin verwies Landrätin Astrid Klinkert-Kittel auf die »tollen Frauen« in der SPD. Es sei nicht alles schlecht, was aus Berlin komme. Einbeck sei einer der ältesten Ortsvereine in Niedersachsen. Während man beispielsweise einer alten Dampfmaschine Alter und schwere Arbeit ansehe, sei das bei der Partei nicht der Fall. Aber Ehrfurcht und Achtung hätten auch die Genossen verdient, die sich für die Interessen der Arbeiter einsetzten, für die kleinen Leute. Der Blick auf die Tradition und auf die mutigen, innovativen Ideen sei gut. Die SPD habe ihren Willen bewiesen, Zukunft zu gestalten, und sie werde das weiter tun. Deutschland habe sich in 150 Jahren von der Agrar- zur Wissensgesellschaft verändert. Das habe die Partei nicht aus der Spur geworfen. Die Mitgliederpartei lebe vom ehrenamtlichen Engagement, vom Gedanken an Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Sie mache den Mitmenschen und seine Interessen und Sorgen zum Mittelpunkt ihrer Politik. Dafür werde viel Zeit investiert, um Lösungen und Antworten gerungen – Demokratie lebe davon. Das sei nicht immer schön und einfach, aber wichtig. Die Gesellschaft brauche Menschen, die sich für das Gemeinwohl einsetzten.

150 Jahre SPD in Einbeck, das sei eine Kampf-, Leid- und Erfolgsgeschichte, blickte der Fraktionsvorsitzende im Einbecker Rat, Rolf Hojnatzki, zurück. In der Weimarer Republik bereits im Rat vertreten, musste die Partei den Nationalsozialisten weichen. Seit dem Zweiten Weltkrieg habe die Partei dann in über 20 Wahlperioden in der Kommunalpolitik mit­gewirkt. Die Arbeit von Martin Wehner dokumentiere dazu alle Fraktionsmitglieder. Er wünsche sich mutige und engagierte Kollegen für eine Arbeit mit Augenmaß für die Bedürfnisse der Menschen – für alle, die in Einbeck leben würden und gerade für die, die sich nicht durch Geld oder Einfluss Lebensqualität kaufen könnten.

Der Unterbezirksvorsitzende und Fraktionsvorsitzende im Kreistag, der Landtagsabge­ordnete Uwe Schwarz, begrüßte es, dass die Einbecker aus ihrem Jubiläum eine Veranstaltungsreihe gemacht hätten. Keine demokratische Partei habe die Geschichte stärker geprägt. Darauf könne man stolz sein, auch wenn die Partei manchmal Schwierigkeiten damit habe. Er werde, kündigte Schwarz an, beim Unterbezirksparteitag am 11. Mai in Hilwartshausen nicht wieder zur Wahl stehen.

Frieden, Freiheit, Wohlstand und Lebensstandard in Deutschland seien hart erkämpft worden, sie müssten weiter verteidigt werden. Weltweit seien 70 Millionen Menschen auf der Flucht, und der reichen westlichen Welt falle darauf keine andere Antwort ein, als die Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen und über Verteilquoten zu streiten. Das sei eine Schande. Den höchsten christlichen Anspruch und eine miese ethische Umsetzung verortete er bei den C-Parteien. Ausländer an jedem Unglück die Schuld zu geben, das sei Brunnenvergiftung, die Parteien, würden sich darin überbieten, sagte er mit Blick auf die AfD. In dieser verlogenen Debatte müsse man dagegen halten, »das sind wir unserer Geschichte schuldig.«

Die EU, forderte er, sollte eine starke Einheit sein, sie habe so viel erreicht und reagiere halbherzig oder gar nicht auf die Rechtspopulisten. Wo bleibe der Aufschrei, wenn nationalistische Parolen Raum bekämen, der Nationalsozialismus als »Vogelschiss der Geschichte« bezeichnet oder ein Ausstieg aus Europa angekündigt werd? Da wünsche er sich, dass die SPD ihre Position vertrete, aus ihrer Behäbigkeit und Lahmarschigkeit herauskomme. Bei der Europawahl im Mai gehe es um viel: Man brauche einen Aufbruch, und die SPD sollte zeigen, wofür sie stehe. »Wir müssen eine Sprache finden, damit die Leute uns verstehen«, da habe man ungeheuren Nachholbedarf. Es gehe darum, für Europa zu begeistert. Eine Wahl sei kein Event, sondern sie entscheide über die Zukunft. Wenn die Briten das bedacht hätten, gäbe es das Problem Brexit heute nicht. Die junge Generation sei nicht unpolitisch, sie sei allerdings nicht parteipolitisch. Er finde es großartig, so Schwarz, was Greta Thunberg ausgelöst habe. Eine Bewegung von unten werde ein Massenphänomen. Und wie bescheuert müsse man sein, wenn man darauf mit Reflexen wie Bestrafung reagiere? Das sei vielmehr bester Anschauungsunterricht, wie für Interessen in einer Demokratie friedlich demonstriert werde, und als Lehrer sollte man mit Schülern dorthin hingehen. Er hoffe, dass dieser Prozess weltweit noch an Dynamik gewinnen werde. Man müsse auch politisch wieder aktiv werden und sich etwa an das alte SPD-Programm »Arbeit und Umwelt« erinnern.

»Besinnt euch auf eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll«, dieses Willy-Brandt-Zitat sollte der Leitspruch der Partei werden. »Wir haben zu wenig, die für Positionen stehen«, bedauerte Schwarz. Die Menschen wollten Konturen. Die SPD habe sehr wenig Alleinstellungsmerkmale, dabei würden die Themen auf der Straße liegen. Die Partei stehe derzeit auf »satten 17 bis 18 Prozent«. Da sei es unangebracht, dass jemand »aus der zehnten Reihe« erkläre, was der SPD nicht gefalle. Personen, Programm, Partei, das sei wichtig.

Menschen an der Spitze müssten Tolles gut vermitteln, man müsse mit Personen und Persönlichkeiten arbeiten, die Sympathie finden würden. Und die SPD habe solche Menschen: Barley, Giffey, Heil, Schwesig, Schäfer-Gümbel, auch Gabriel und Schulz, sagte er unter Beifall. Wenn man Wahlen mit Inhalten gewinnen wolle, müsse man Personen und Kräfte bündeln – eine kluge Parteiführung würde das jedenfalls tun.

Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität hätten an Aktualität nichts verloren, man müsse es nur klarmachen. Seit 150 Jahren würden die Menschen in Einbeck dafür brennen. Zum Jubiläum könne man auf das Geleistete und auf das in der Zukunft Liegende schauen und auf Personen hinweisen, die es mitgetragen hätten. »Ich bin stolz, Mitglied der SPD zu sein.«ek