Tuberkulose ist keine Krankheit von »gestern«

Oberarzt Matthias Leister hält Vortrag beim Bürgerspital-Förderverein | Gefahr der Erkrankung besteht nach wie vor

Tuberkulose ist keine Krankheit aus fernen Zeiten, sondern auch heute noch ein Thema. Das hat Matthias Leister, Oberarzt der Inneren Medizin am Einbecker Bürgerspital und Facharzt für Lungenheilkunde, jetzt bei seinem Vortrag auf Einladung des Fördervereins des Krankenhauses deutlich gemacht: »Tuberkulose gestern und heute« informierte über die Ent­stehung der Krankheit, die frühere Behandlung und heutige Gefahren.

Einbeck. Erstmals war Matthias Leister Referent beim Krankenhaus-Förderverein. Er sei, berichtete die Vorsitzende Brunhild Vatterodt, seit August Oberarzt der Inneren Medizin.

»Die Tuberkulose ist deutlich zurückgegangen, aber sie ist noch nicht verschwunden«, verwies der Mediziner auf die Bedeutung der Erkrankung, die auch als Weiße Pest, »Motten«, Schwindsucht, Morbus Koch oder Wiener Krankheit bezeichnet werde. Es handele sich um eine bakterielle Erkrankung, ausgelöst durch Mycobacterius tuberkulosis; daneben gibt es einen weiteren Erreger für Darmtuberkulose. Erstmals wurde die Krankheit 1689 in England beschrieben. 1839 bekam sie ihren Namen: Tuberkulose, abgeleitet vom lateinischen tuberculum = Höckerchen. Bekannt war das Leiden schon im Altertum: In Skeletten aus dem vierten vorchristlichen Jahrtausend sind Tuberkuloseerkrankungen nachzuweisen, in ägyptischen Mumien ebenso wie in Toten in Indien und Amerika um 2000 vor Christus. Hippokrates bezeichnete sie als »Schwund«. Es handele sich um die am weitesten verbreitete Krankheit aller Zeiten, und sie endete fast immer tödlich, so Matthias Leister. Robert Koch entdeckte 1882 den Erreger der Tuberkulose; 1905 erhielt er dafür den Nobelpreis. Berühmte Tuberkulose-Opfer waren unter anderem Franz Kafka, Anton Tschechow und Frédéric Chopin sowie vermutlich Friedrich von Schiller und George Orwell. Im »Zauberberg« und der »Kameliendame« ist die Erkrankung thematisiert worden.

Das Auslöser-Bakterium teilt sich nur alle 16 bis 20 Stunden. Es ist resistent gegen schwache Desinfektionsmittel und überträgt sich über die Luft, Nahrungsmittel, etwa Milch, verunreinigte medizinische Instrumente sowie auf sexuellem Weg bei Tuberkulose der Geschlechtsorgane. Vor Staub, Schmutz, Tröpfen und Kühen wurde in den 1930er Jahren gewarnt, verwies Leister auf historische medizinische Plakate. Um 1900 starb in Mitteleuropa jeder Vierte an Tuberkulose.

Tuberkulose kann sämtliche Organe befallen. Symptome sind beispielsweise Müdigkeit, Schwäche, geschwollene Lymphknoten, leicht erhöhte Temperatur, Nachtschweiß, Hüsteln, blutiger Auswurf, Gewichtsverlust und schließlich Untergewicht – deshalb auch die Bezeichnung Schwindsucht. Bei der primären Tuberkulose werden die Bakterien eingeatmet. Sie geraten in die Lunge und werden von weißen Blutkörperchen in den Lymphknoten eingekapselt. Im Röntgenbild sind Verkalkungen in der Lunge zu sehen. Man spricht von einer »geschlossenen« Tuberkulose.

Nur etwa fünf bis zehn Prozent der Infizierten erkranken im Laufe ihres Lebens an Tuberkulose. Bei der postprimären Tuberkulose werden die Bakterien reaktiviert. Husten, Schmerzen und Atemnot zeigen eine Gewebezerstörung in der Lunge an. Es bilden sich sogenannte Kavernen, mit Bakterien gefüllte Hohlräume, und bei Anschluss an das Bronchialsystem entsteht Auswurf – man spricht von einer »offenen« Tuberkulose. Die weitere Verbreitung erfolgt über die Blutbahn, und die Lunge kann erheblich zerstört werden. Im antiken Rom sah die Behandlung den Aufenthalt im warmen, trockenen Klima vor, die Patienten sollten Ruhe halten und Seeluft atmen. Seeluft, Sonne, Milch und Körperertüchtigung waren auch vom 15. bis 18. Jahrhundert die empfohlenen Behandlungsarten – die »königliche Berührung« dagegen hatte nur mäßigen Erfolg. Ab etwa 1850 setzte die Medizin auf spezielle Sanatorien mit Ruhe- und Lichttherapie; kein schlechter Ansatz, wie Leister anerkannte, denn Sonnenlicht führe zu Vitamin-D-Bildung und das stärke die Abwehr. Im Rahmen einer Kollapstherapie wurde ein Pneumothorax herbeigeführt, die Lahmlegung eines betroffenen Lungenflügels, eine Prozedur, die regelmäßig wiederholt werden musste. Mit ähnlichen Methoden oder auch mit Plastiken arbeitete man bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts.

Heute müsse man nur noch selten chirurgisch tätig werden, nicht zuletzt durch die Entdeckung des Streptomycins im Jahr 1943, erläuterte er weiter. Die Weiterentwicklung habe zu vier Standardmedikamenten geführt, die die heutige Therapie darstellten: Zwei Monate lang müsse der Patient alle vier nehmen, vier weitere Monate dann zwei ausgewählte Arzneien. Damit verbunden sei ein wochenlanger Krankenhausaufenthalt, bis sich keine Bazillen mehr im Auswurf befänden.Die Darmtuberkulose, die über die Milch infizierter Kühe übertragen werde, sei seit den 1950er Jahren stark zurückgegangen, da man die Tiere gründlich untersuche und die Milch pasteurisiert werde. Vereinzelte Fälle im Allgäu habe es dennoch gegeben; er rate deshalb dringend, nur pasteurisierte Milch zu trinken, so Leister. Die Tuberkulose-Diagnose erfolgt in der Regel über eine Röntgenuntersuchung. Früher gab es dazu Reihenuntersuchung im Röntgenbus. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis Ende des 20. Jahrhunderts wurde auch eine Schutzimpfung mit einem abgeschwächten Lebendimpfstoff durchgeführt; die Wirkung sei allerdings »null« gewesen, berichtete der Mediziner. Dass die Zahl der Todesfälle zurückging, sei darauf zurückzuführen, dass ab den 1950er Jahren die Behandlung mit einem Antibiotikum erfolgte, dass die Hygiene allgemein besser wurde und die Menschen sich besser ernährten.

Die Zahl der Neuerkrankungen sei deutlich gesungen: 1990 waren es 17 Fälle auf 100.000 Einwohner, 2008 noch fünf Fälle, 2012 statistisch 5,3 Fälle. Für den Landkreis Northeim bedeute das, dass es fünf bis zehn Neuerkrankungen pro Jahr gebe. Weltweit sehe es allerdings anders aus: Noch immer sei die Tuberkulose-Häufigkeit in der ehemaligen Sowjetunion und in Afrika hoch, wo häufig noch eine HIV-Infektion hinzu komme; in russischen Gefängnissen habe inzwischen fast jeder Gefangene Tuberkulose. Allerdings seien der Behandlung mit Antibiotika Grenzen gesetzt, denn es seien Resistenzen aufgetreten gegen eins der Hauptmedikamente. Diese Fälle seien schwierig zu behandeln, und da greife man dann auch auf chirurgische Maßnahmen zurück. Für die Zukunft kündigte die Vorsitzende des Fördervereins, Brunhild Vatterodt, weitere Vorträge zu medizinischen Themen an: Matthias Leister sei auch ein Fachmann auf dem Gebiet von Impfungen und Reisemedizin, dafür wolle man Termine im kommenden Jahr vereinbaren. Den letzten Vortrag für 2014 soll es im Dezember geben; das Thema steht noch nicht fest.ek