Umgang mit dem Tod gehört zum gelingenden Leben

Benediktinermönch Paster Anselm Grün in der Münsterkirche | Sterben, Trauer und die Begleitung Hinterbliebener

»Wer täglich den Tod vor Augen hat, der hat keine Angst vor ihm.« Über »Leben im Angesicht des Todes« hat der Benediktinermönch Pater Anselm Grün in der Münsterkirche St. Alexandri ge­sprochen. Auf Einladung der Hospizbewegung Einbeck und des Ambulanten Hospizdienstes Leine-Solling ging er vor rund 450 interessierten Zuhörern auf die Begleitung von Schwerkranken und Sterbenden ein. Breiten Raum in seinem ­engagierten Vortrag nahm der Umgang mit Trauer und Trauernden ein.

Einbeck. Für die Hospizbewegung hieß Manfred Linner die Besucher willkommen. Mehr als zwei Jahre habe die Planung und Organisation dieses Abends in Anspruch genommen, sagte er mit Dank an die zahlreichen Helfer. Annette Hartmann vom Hospizdienst Leine-Solling verwies darauf, dass Sterben und Tod noch immer Tabu-Themen seien. Die Hospizmitarbeiter hätten das Ziel, Menschen in ihrer letzten Phase gut zu begleiten, ihr Leid mit ihnen auszuhalten, aber auch mit ihnen zu lachen. Wichtig sei zudem die Begleitung von Trauernden. Sie freue sich, sagte Ingeborg Steinsiek, dass sie als Oblatin des Klosters Münsterschwarzach Anselm Grün in Einbeck hören dürfe. Sie habe bei einem seiner Kurse gelernt, das Loslassen zu üben, das habe ihr Kraft gegeben.

Im Mittelalter habe man von der Kunst zu sterben wie von der Kunst zu leben gesprochen, erinnerte Pastor Anselm Grün. Mozart habe täglich an den Tod gedacht, das sei für ihn der Schlüssel zur Glücksseligkeit gewesen. Jesus habe im Angesicht des Todes Spuren der Liebe eingegraben. Todesangst sei Angst vor Kontrollverlust, vor Hilflosigkeit oder davor, andere allein zu lassen. »Wie wir mit Todesangst ­umgehen, davon hängt das Leben ab«, machte er deutlich. Man sollte niemandem die Todesangst ausreden, sondern müsse sie ernst nehmen, aber auch die Augenblicke des Lebens sollte man bewusst wahrnehmen. »Der Gedanke an den Tod verstärkt das Leben«, führte Pater Grün aus. »Wenn es keinen Tod gibt, gelingt das Leben nicht.« Ab der Lebensmitte sei nur lebendig, wer zu sterben bereit sei, zitierte er den Psychiater C. G. Jung – wer im ersten Abschnitt nicht richtig gelebt habe, könne im zweiten nur schwer loslassen. »Es ist aber nie zu spät zu leben«, machte Grün deutlich. Ob es ein Leben nach dem Tod gebe, wisse niemand, aber die Weisheit der Seele sage, dass mit dem Tod nicht alles aus sei. Gegen diese Weisheit sollte man nicht leben, sonst werde man rastlos, ruhelos und neurotisch.

In der Bibel gebe es verschiedene Bilder vom Tod: So werde davon gesprochen, dass Jesus eine Wohnung bereite, und das gelte auch, wenn ein geliebter Mensch sterbe: »Er nimmt einen Teil von uns mit – wie wenn man über einen Bach springen will und den Rucksack schon einmal vorweg wirft, damit der Sprung besser gelingt.« Das Mittelalter mit Millionen Pest-Toten brauchte Trost- und Hoffnungsbilder: die Pieta, die Gottesmutter mit dem toten Jesus in ihren mütterlichen Armen. Und schließlich gebe es das Bild vom toten Lazarus, den Engel in den Schoß Abrahams geleiteten. Dass Engel jemanden ins Paradies führten, nehme dem Tod die Schärfe. »Wollen wir uns fallen lassen, oder verschließen wir uns?«, das sei eine wichtige Frage zum Umgang mit dem Tod. Dazu wartete Pater Grün mit Bildern von Himmel, Fegefeuer und Hölle auf: Man könne sich in Gott fallen lassen und von ihm gerettet werden. Dass man sich im Himmel wiedersehe, sei alte christliche Überzeugung. Das Fegefeuer werde angesehen als Ort der Strafe – in der lateinischen Übersetzung sei es ein Reinigungsort. Die Hölle bereiteten sich einige Menschen schon hier. Man könne die Hoffnung hegen, dass sie leer sei. »Gott schlägt keinem die Tür zu«, er werfe niemanden in die Hölle. Der Mensch sei es, der sich ausschließe. Er werde heute noch mit ihm im Paradies sein, habe Jesus dem Schächer am Kreuz angekündigt.

Pater Grün nahm auch Stellung zu Wahrheit und Wahrhaftigkeit am Krankenbett. Wer einen Sterbenden über seinen Zustand belüge oder am Sterbebett nur oberflächliches Zeuge rede, nehme ihm den Abschied, warnte er. Dann bleibe ein Trauerkloß im Hals. Der Umgang mit Sterbenden sei ein Zeichen von Kultur beziehungsweise Unkultur. Ihm gefalle die Formulierung »das Zeitliche segnen«, das stehe für würdiges Sterben, für bewusstes Abschiednehmen, womit Worte des Segens verbunden seien. Es sei nicht einfach, mit Sterbenden über den Tod zu sprechen, man sollte sie dazu nicht drängen. Man sollte zulassen, worüber der Sterbende sprechen wolle. Manche Menschen könnten nicht sterben, weil sie nicht vergeben könnten. Wer festhalte, werde einen langen Kampf führen. Auch nach dem Tod könne man Abschied nehmen, selbst wenn es im Leben nicht gelungen sei. Die Hospizbewegung habe mit ihrer Sterbebegleitung eine neue Kultur in der Gesellschaft geschaffen, lobte Pater Grün. Eine anonyme Beerdigung, wie sie immer häufiger stattfinde, bleibe nicht ungestraft, die Emotionen kämen irgendwann hoch. Wichtig sei es, nicht nur den Sterbenden zu begleiten, sondern auch den Angehörigen. Er dürfe seine Trauer nicht verdrängen. Nicht umsonst spreche man von einem »Trauerjahr«; heute billige man Hinterbliebenen gerade sechs Wochen zu, sonst werde Trauer zur behandlungsbedürftigen Krankheit. Den ­Trauerprozess abzuschneiden, tue nicht gut. Trost zu spenden, bedeute nicht, zu vertrösten oder die Situation mit frommen Worten zuzudecken. Man müsse die Tränen des anderen aushalten. Trauer habe verschiedene Phasen: Zunächst wolle man den Tod nicht wahrhaben; darauf reagierten manche Menschen mit Aktionismus. Oder sie hätten Schuldgefühle, weil sie den Sterbenden gerade in dieser Stunde allein gelassen hätten. Er sei nicht allein gewesen, war Pastor Grün überzeugt, ein Engel sei dabei gewesen. In dieser Phase komme es darauf an, Trauer zuzulassen, sie wahrzunehmen. Im zweiten Schritt kämen chaotische Gefühle - Schmerz, Wut und Verletzungen würden aufsteigen. Es gehe nun darum, die Beziehungen zu bearbeiten. Im dritten Trauerschritt könne man die Botschaft verstehen, was der Verstorbene durch sein Leben und Sterben sagen wolle, wofür er eingetreten sei. In Fällen von Suizid sei es wichtig, nicht zu be- oder entschuldigen: »Es war, wie es war.« Man sollte darauf ver­trauen, dass dies der Weg des Verstorbenen zu Gott gewesen sei. Im vierten Schritt könne eine neue Beziehung zum Verstorbenen entwickelt werden. Es sei möglich, dass es dazu Botschaften und Zeichen gebe. Abschiedsrituale, betonte er, seien wichtig. Gerade Kinder brauchten sie, sie könnten etwas basteln, malen oder in den Sarg legen. Wenn sie an einer Trauerfeier teilnehmen sollten könnten sie es tun, man sollte sie weder drängen noch abhalten. Die Trauer, so sein Rat, sollte sich in Tun verwandeln. So könne man einen Brief an den Verstorbenen schreiben und im zweiten Schritt einen Brief des Verstorbenen an sich selbst. Daraus würden andere Worte entstehen als die, die immer wieder zum ­Grübeln führten. Die Trauer werde so gewandelt, sie könne Versöhnung bringen.

Der Umgang mit Trauer und Abschied gehöre zum gelingenden Leben. Der Tod wolle nicht Angst machen, sondern dazu einladen, bewusst eine Spur zu hinterlassen - das sei immer möglich, selbst im letzten Augenblick des Lebens. Es sei deshalb wichtig, sich zu fragen, welche Spur man eingraben wolle in diese Welt. »Ihre Spur, die Spur des Lebens, bleibt nach dem Tod«, versicherte er. Die Kunst des Sterbens einzuüben, dazu eigne sich das Abendgebet, denn niemand habe eine Garantie, dass er wieder erwachen werde - man halte den Tag Gott hin, ohne ihn zu bewerben. Man habe es nicht in der Hand, wie man sterbe, aber man könne sich in Gottes gute Hände fallen lassen, das nehme dem Sterben die Angst, den Schmerz und das Grauen.ek