Unterhaltung trifft auf Gesellschaftskritik

»Die Dreigroschenoper«: TfN mit Brechts Klassiker im Wilhelm-Bendow-Theater | Konzentrierte Inszenierung

»In keinem zweiten Werk liegen hoher Unter­haltungswert, rigorose Gesellschafskritik und anhaltener Publikumserfolg so dicht beisammen wie in der «Dreigroschenoper”«. Das schreibt Reiner Müller, Dramaturg des Theaters für Niedersachsen (TfN) im Programm zum 1928 uraufgeführten Stück von Bertold Brecht und Kurt Weill, das jetzt im Wilhelm-Bendow-Theater in Einbeck gespielt wurde. Die Inszenierung legt Wert auf die Gesellschaftskritik Brechts, setzt dabei rauhe und mitunter vulgäre Akzente.

Einbeck. Mit der »Moritat von Mackie Messer« nähert sich Macheath (Martin Molitor) pfeifend der Versammlung seiner Banditen. Räuber und Einbrecher sitzen am langen Tisch, dem »Letzten Abendmahl« von Leonardo da Vinci nachempfunden. Es ist Zahltag bei Mackie. Den Hintergrund dominiert Justitia, nicht blind, sondern gesichtslos. An einem anderen Ort in London stattet Jonathan Jeremiah Peachum (Jens Krause), Chef einer Bettler-Platte, zusammen mit seiner Frau (Michaela Allendorf) einen Neuen aus: Wer Mitleid erwecken will, muss immer wieder etwas bieten. Das Bettlerhandwerk ist fest in Peachums ideenreicher Hand. Die Familie macht sich jedoch Sorgen: Tochter Polly (Magdalene Orzol) ist nicht nach Hause gekommen.

Das Rätsel wird in der nächsten Szene gelöst: Polly heiratet Macheath - eine Katastrophe, denn die Gangster-Familien sind verfeindet. In einem Pferdestall werden sie schnell getraut, ob der Pfarrer ganz »echt« ist, bleibt dahingestellt, Routine hat er in jedem Fall: »Dann wollen wir mal ...« Zu den Hochzeitsgästen zählt auch der Londoner Polizeichef »Tiger« Brown (Alexander Prosek), ein enger Freund des Gangsters. Speisen und Dekoration sind - natürlich - zusammengestohlen. Nachdem Polly mit dem Lied von der »Seeräuber-Jenny« glänzen konnte, »muss das Gefühl auf seine Rechnung kommen«, wie Mackie ankündigt. Zu den Klängen vom »Mond über Soho« verläuft die Hochzeitsnacht unromantisch und grob: Mackie nimmt seine junge Frau von hinten, über ein Turnpferd gelehnt. Pollys Eltern sind entsetzt über die Wahl ihrer Tochter. Einer Trennung widersetzt sich Polly, und so wird Mac an die Polizei verraten. Immerhin sind auf seinen Kopf 40 Pfund ausgesetzt. In einem Bordell wird er dingfest gemacht, die Hure Jenny (Simone Mende) hat den entscheidenden Tipp gegeben. Im Gefängnis sieht es nicht gut aus für Macheath, als Polly und Lucy (Joëlle Rose Benhamou) dort aufeinander treffen, »Tiger« Browns Tochter. Sie ist sehr verliebt in Mac und schwanger von ihm. Die beiden Frauen zanken miteinander auf rüde Weise, aber schließlich kann Lucy ihm zur Flucht verhelfen.

Das gefällt Peachum gar nicht, er macht Brown verantwortlich und droht ihm, die anstehenden Krönungsfeierlichkeiten mit seinen Bettler-Truppen zu sabotieren. Das wäre doch sicher nicht schön, wenn so viele Arme vor der Kirche stehen würden ... . Bei der Suche nach Macheath helfen die Huren erneut, und nun droht tatsächlich der Galgen. Der Auftritt scheint spektakulär zu werden. keiner geht zur Krönung, alle wollen Mackie hängen sehen.

Doch die Krönung ist es, die Macheath den Hals rettet, nachdem ein Bestechungsversuch nicht geglückt ist. Im letzten Augenblick soll Gnade vor Recht ergehen, ein reitender Bote kündigt seine Freilassung an - und nicht nur das: Damit verbunden sind die Erhebung in den erblichen Adelsstand und eine jährliche Rente. Anders als in der ursprünglichen Fassung lässt das TfN Mackie aber sterben, er wird erschossen. »Verfolgt das Unrecht nicht zu sehr«, mahnt Peachum abschließend.

In der Inszenierung von Bettina Rehm spielten weiter Marek Egert, Tim Müller,Thomas Strecker, Dennis Habermehl, Gotthard Hauschild und Sandra Pangl. Unter der Leitung von Leif Klinkhardt begleitete eine Band die Aufführung.

Die Interpretation des TfN setzt auf die sozialkritischen Akzente des Stücks, thematisiert die Schwachstellen der Gesellschaft: »Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?«, fragt Macheath. Angesichts von Finanz- und Bankenkrisen, von Korruption und Armutsproblemen gilt noch immer Brechts Analyse: »Erst kommt das Fressen, dann die Moral.«

Brechts »Stück mit Musik« lebt von den bekannten Liedern, beispielsweise der »Moritat«, die dankenswerterweise ebenso aufs Wesentliche reduziert wurde wie das Lied der Seeräuber-Jenny, die Überlegung zur »sexuellen Hörigkeit« oder das Stück vom Mond über Soho - weg vom Swing- und Streicher-Bombast, die die Musik zu »Hits« gemacht haben. Die Mitwirkenden wurden nicht nur den schauspielerischen, sondern auch den gesanglichen Anforderungen gerecht. Schlicht, aber wandlungsfähig war das Bühnenbild von Julia Hattstein, dominiert von der Justitia, deren Insignien sich abmontieren ließen - fertig war der Galgen.

Der Abend war nicht ausverkauft, aber für die Schauspieler gab es dennoch starken und langen Applaus.ek