Von »amüsanten Anekdoten« bis zur »biblischen Wucht«

Kritikerin Annemarie Stoltenberg begeisterte das Einbecker Publikum im »Haus der Bücher« mit ihren Frühjahrsbuchtipps

In gewohnt unterhaltsamer und fundierter Weise gab Annemarie Stoltenberg im »Haus der Bücher« wieder Literaturtipps über sämtliche Genregrenzen hinweg. In puncto Bucherscheinungen versprach sie ein »starkes Frühjahr«. Die beste Kritik erhielt Philip Roths »Nemesis«.

Einbeck. Insgesamt 21 Empfehlungen hatte die Journalistin und Kritikerin nach Einbeck mitgebracht: vom ergreifenden Roman über sensationelle Sachbücher bis hin zum fesselnden Krimi. In der Gunst Stoltenbergs befanden sich unter anderem Siri Hustvedts »Der Sommer der Nächte«, ein Roman »mit vielen  interessanten Handlungssträngen und vermischten Nebenhandlungen« über eine betrogene Ehefrau, die sich auf dem Land eine Auszeit nimmt. Fazit Stoltenberg: »Ein richtig lebenskluges Buch.« Ebenfalls im Gepäck hatte die Kulturjournalistin »eine Geschichte des Scheiterns und wie man damit umgeht«, geschrieben von David Gilmour mit dem Titel »Die perfekte Ordnung der Dinge«.

Als besonders lesenswert stufte sie Meir Shalevs »Meine russische Großmutter und ihr amerikanischer Staubsauger« ein. Mit viel Humor berichtet dort Shalev über die Putzmarotten seiner penibel-reinlichen Großmutter, die einen geschenkten »Sweeper«-Staubsauger partout nicht benutzen möchte. Im weiteren Verlauf der Geschichte ergeben sich daraus »viele schöne Szenen und amüsante Anekdoten«, versprach Stoltenberg. Ergreifend, dass »einem das Herz wie Butter in der Sonne schmilzt« kündigte sie Veronique Olmis Roman »Die erste Liebe« an, in der die verheiratete Emilie an ihrem 25. Hochzeitstag Reißaus nimmt und ihr Leben sowie ihre Ehe Revue passieren lässt.Im Bereich Sachbücher empfahl die beim NDR-Hörfunk arbeitende Autorin Frans de Waals »Das Prinzip Empathie«, Tony Judts »Dem Land geht es schlecht« sowie Constanze Kurz’ und Frank Riegers »Die Datenfresser«. Letzteres entwickele Zukunftsszenarien zum Thema Internet und Datenschutz. Zudem geben sie Tipps, wie man sich gegen den Datenmissbrauch schützen kann. »Ein irres Buch«, fand Stoltenberg.

Als eines der besten Bücher im Frühjahr pries sie Philip Roths »Nemesis« an. Der Amerikaner schreibe schon seit mehreren Jahren kontinuierlich gute Romane, und auch sein neues Werk habe eine »biblische Wucht«, die sich inhaltlich in Form einer Polioepidemie in Newark ausdrücke. Im Zentrum dieser Epidemie steht der Bilderbuchamerikaner Bucky, der schließlich eine Katastrophe heraufbeschwört und an der Schuld zugrunde geht. »Das Buch rüttelt an der im Amerika vorherrschenden calvinistischen Moral und stellt sie auf den Kopf«, erklärte Stoltenberg. Dabei habe es Roth geschafft, einen Text ohne jeden Schnörkel zu verfassen.

Als neuen Star in der Krimiszene propagierte Stoltenberg Linus Reichlin. So sei ihm mit »Er, Galiani« ein Krimi gelungen, der zunächst nicht mit den genreüblichen Themen spielt: »Es gibt keine Leiche und keinen Mörder, dennoch ist eine pfiffige Story entstanden.« Einen teils satirischen Blick in die Fernsehwelt gebe »die aufregende Autorin« Catherine O’Flynn in »Der vierte Versuch«, worin es um den tödlichen Unfall eines Fernsehmoderators geht. Sein Nachfolger begibt sich nach einem Hinweis, den er im Rahmen eines Beitrages erhält, auf die Suche, um den hintergrund zu ermitteln.

Für einen lesenswerten Bücherfrühling empfahl Stoltenberg unter anderem noch »Die hellen Tage« von Zsuzsa Bank, »Das lässt sich ändern« von Birgit Vanderbeke«, »Ein Garten im Meer« von Bertine Henrichs, »Leon und Luise« von Alex Capus, »Tarmac – Apokalypse für Anfänger« von Nicolas Dickner, »Der alte König in seinem Exil« von Arno Geiger, »Traumland« von Vidar Sundstol, »Zeugin der Toten« von Elisabeth Herrmann »Porträt eines Dandys« von Klas Östergren, »Erlösung« von Claus Cornelius Fischer und die mehrbändige Ausgabe »Meister der komischen Kunst« mit einer Auswahl humoristischer Zeichnungen deutscher Karikaturisten.thp