Wagners Universalkunstwerk fordert Publikum heraus

Kenner und Kritiker Dr. Klaus Billand aus Wien spricht beim Lions-Club über ein »rastloses Genie«

Einbeck. Richard Wagner sei eine schillernde Persönlichkeit – man freue sich, durch einen hochkarätigen Referenten Einblicke in sein Leben und Schaffen  zu erhalten. Vermittelt wurde der Vortrag durch Lions-Mitglied Dr. Alexander Bohrisch, der Billand aus gemeinsamer Arbeit kennt. Der Experte sei kein Musikwissenschaftler, verriet er, sondern Volkswirt. Allerdings habe die Familie seine Musikleidenschaft geprägt, und seine Freizeit habe er damit verbracht, etwa 100 Opernhäuser weltweit kennenzulernen. Darüber hinaus habe er selbst 2005 ein Opernfestival in Südamerika organisiert, und der jüngste Plan sei eine Kreuzfahrt für Opernliebhaber.

Rastlos sei Richard Wagner in der Tat gewesen, darauf verwies Dr. Klaus Billand anhand einer Karte mit den Wohnsitzen des Komponisten: Leipzig, Riga, Moskau, Paris, London, Bordeaux, Sizilien, Wien, Paris und Bayreuth – unterwegs per Kutsche. Geboren wurde Richard Wagner am 22. Mai 1813, dem Jahr der Völkerschlacht, im besetzten Leipzig als neuntes Kind eines Polizeibeamten. Der Vater starb noch im selben Jahr. Viele Werke seien daraus autobiographisch nachvollziehbar. 1814 heiratete die Mutter erneut. Zum Stiefvater hatte Richard ein gutes Verhältnis, aber auch er starb bald. Durch Carl-Maria von Weber, einen väterlichen Freund, hatte er erste Begegnungen mit der Musik. Mit 13 Jahren schrieb er ein kleines Stück, und mit 15 Jahren entdeckte er Beethoven als Vorbild. Er studierte in Leipzig Musik. 1836 heiratete er Minna Planer. In Magdeburg wurde Wagner Chordirektor. Die Theaterlandschaft in Deutschland erschütterte ihn, er wollte Neues schaffen, doch die Uraufführung seines »Liebesverbots« wurde 1836 zum Flop. Auf der Flucht vor Gläubigern musste er Berlin verlassen, und über Königsberg gelangte er nach Riga. Ohne Geld auf der Flucht, das passierte öfter – von Riga aus nach Paris. Die Schiffsreise gab Inspirationen für den »Fliegenden Holländer«.

Paris war die Stadt von Dumas, Hugo, Liszt. Wagner schrieb hier an »Rienzi« und dem »Fliegenden Holländer«. Da es ihm an »Herkunft« fehlte, erhielt er auch keine Unterstützung. Meyerbeer half ihm, doch künstlerischen Erfolg hatte Wagner nicht. So ging er 1843 nach Dresden. Hier sollte auch »Rienzi«, sein erster Erfolg, uraufgeführt werden. Der König machte ihn zum Hofkapellmeister. Die politische Situation sah Wagner kritisch, und nachdem ein 1849 von ihm unterstützter Aufstand scheiterte, begab er sich erneut auf die Flucht, zunächst zu Franz Liszt nach Weimar, anschließend mit falschem Pass nach Zürich. Bis 1862 wurde er steckbrieflich gesucht. Die Jahre bis 1858 waren seine produktivsten. Wagner kam zur Ruhe und konnte intensiv und konzeptionell arbeiten, unter anderem am »Ring des Nibelungen«. Ein »Kunstwerk der Zukunft« wollte er schaffen, nicht unterhaltend, wie das Publikum es gewohnt war, sondern mit einer politischen Botschaft. Entsprechend lehnte er es ab, Auftragswerke zu schreiben. Sein »Ring« wurde mit einer Dauer von 16 Stunden das größte Musikdrama aller Zeiten.

Seine in dieser Zeit verfassten Schriften setzten sich unter anderem mit dem Judentum in der Musik auseinander; der Vorwurf des Antisemitismus warf einen schweren Schatten auf Wagner und trug zu seiner umstrittenen Aufnahme bis in die heutige Zeit bei.Turbulent ging es immer wieder in Wagners Privatleben zu. Er begann eine Affäre mit Mathilde Wesendonck, der schönen Frau seines reichen Züricher Nachbarn. Die unglückliche, verbotene Liebe findet sich zum Teil wieder in »Tristan und Isolde«. Ein wichtiger Kontakt in dieser Zeit ist Arthur Schopenhauer, der ihm Anregungen für den »Ring« gab. In diesen Jahren lernte er auch die Tochter Franz Liszts, Cosima, kennen, die mit ihrem Ehemann Hans von Bülow zu Besuch nach Zürich kam.

Auch in der Schweiz fand Wagner keine feste Bleibe, er siedelte 1858 nach Venedig um, seine Frau Minna trennte sich nach dem Wesendonck-Skandal von ihm; anschließend ging es über Luzern nach Paris. Inzwischen hatte er mit Erfolg »Lohengrin« aufgeführt, »Tannhäuser« fiel dagegen in Paris durch – das Publikum hätte gern »mehr Ballett« ab dem zweiten Akt, was Wagner nicht bieten konnte. Nach einer Amnestie durfte er wieder nach Leipzig kommen. Sein nächstes Ziel war Wien, wo er »Tristan und Isolde« aufführen sollte. Nach 77 Proben wurde das Stück für »unaufführbar« erklärt, die Premiere abgesagt, und Wagner musste, wieder einmal bankrott, fliehen. Er sei, so Klaus Billand, nie ein guter Vermarkter seiner Kunst gewesen, hatte aber immer einige Unterstützer, mit deren Hilfe er sich über Wasser halten konnte. Kaiserin Elisabeth, Sisi, gehörte ebenso dazu wie König Ludwig II. Wagner lernte den 18-jährigen Monarchen, der zu seinem bedeutenden Mäzen wurde, 1864 kennen. Ludwig verehrte Wagner über alle Maßen, und der Komponist profitierte davon, dass er nun jeglicher Belastung seines Schaffens durch Broterwerb enthoben war. »Ohne «Kini” kein «Tristan”, kein «Parzival” und auch kein «Ring”«, machte der Referent deutlich. Die Beziehung zu Cosima – noch verheiratet mit von Bülow – machte er im selben Jahr offiziell. Nach Protesten gegen die Verschwendungssucht von Ludwig und Wagner musste der Komponist erneut flüchten. Ziel war diesmal das Landhaus Tribschen bei Luzern. Hier schuf er die »Meistersinger«, und er brachte den »Ring« zu Ende.

1871 wählte er Bayreuth als Ort künftiger Aufführungen, im folgenden Jahr siedelte er dorthin über, und er legte den Grundstein für das Festspielhaus. Stimme und Musik sollten gleichzeitig beim Publikum ankommen in dieser Konstruktion, für die Wagner beste technische Details umsetzte. Seit 1876 finden hier die jährlichen Festspiele statt. In der »Villa Wahnfried« fand er ab 1874 mit Cosima und den Kindern ein Zuhause. gesundheitlich angeschlagen, reiste er 1881 des Klimas wegen nach Sizilien. Hier vollendete er den »Parzival«. Gestorben ist Richard Wagner am 13. Februar 1883 in Venedig - in Arbeit hatte er einen Aufsatz über die »Emanzipation des Weibes«. Beerdigt wurde er in Bayreuth, genau wie Cosima, die ihn um 47 Jahre überlebt.

Das Wagnersche Universalkunstwerk sei vielfältig, es fordere das Publikum heraus, stellte Klaus Billand fest. Es sei ihm nicht darum gegangen, »schöne« Musik zu schreiben und zu unterhalten, sondern zuweilen ging es auch brutal zu – wie in der Realität. Der Beginn des Industriezeitalters spiegele sich ebenso wieder wie die Gründerzeit. In »Ring« finde man viele autobiographische Elemente. Gab es in den 1990er Jahren häufig eine Übersteigerung des Regie-Theaters, seien heute »Stücke-Zertrümmerer« am Werk. Stücke könnten und sollten modern sein, aber der Bezug zu heutigen Problemen sollte dramaturgisch gut gemacht werden. Ihn selbst, verriet Dr. Billand, habe das Lohengrin-Vorspiel zu Wagner gebracht. »Wagner muss man sich erarbeiten.«ek