»Warum kümmern sich die Menschen nicht um andere?«

Theaterstück »Wolfshunger« übt mit Zukunftsvision Kritik an der heutigen Gesellschaft / Armut und Drogen bestimmen Weltbild

Die Theater-AG der Löns-Realschule Einbeck führte kürzlich das Stück »Wolfshunger« auf. Nachdem sie ein halbes Jahr unter der Regie von Rolf D. Bartels geprobt hatten, begeisterten die 40 jungen Schauspieler das Publikum mit einer gesellschaftskritischen Zukunftsvision, die ihre Wurzeln in der Gegenwart hat.

Einbeck. Das Theaterstück spielt im Jahr 2103. In dieser nicht allzu fernen Zukunft haben Klimakatastrophen den Süden Europas nahezu unbewohnbar gemacht, Dürre und Hungersnöte herrschen. Im Borgerland im Norden leben die Nationalen Borger, eine Gruppierung gewaltbereiter Schläger, die eindeutige Anleihen heutiger Neonazis besitzen. Mit Springerstiefeln, Bomberjacken, Baseballschlägern und Messern ausgerüstet, legen sie sich mit jedem an und hassen alles, was sie nicht kennen – vor allem die Rooks, eine Mädchengang mit wilden Frisuren, die sich ständig im Drogenrausch befindet.

Auch die Neuborger, die Zugewanderten, sind bei den Naborgs nicht beliebt. Frau Krummgiebel (glänzend: Kristina Schlüsche), eine ältere Dame, ist die Einzige, die den Schlägern Paroli bieten kann. Hinzu kommt noch die Oberschicht, die Reichen, die meinen, besser zu sein, als alle anderen.

Als sich die Rook Ratte in den tumben Naborg Gobo (großartig: Felix Langanki), der all seine Probleme mit dem Einsatz seines Baseballschlägers löst, verliebt, dieser jedoch mit Rook Elgin turtelt und mit ihr ein neues Leben anfangen will, und die Neuborger den Naborg-Anführer Wotan vor dem Ertrinken retten, gerät das Gebilde aus den Fugen. Alle fragen sich, ob die ständige Apathie, die Schlägereien und das Misstrauen wirklich sein müssen. Die Situation verschärft sich, als die Rooks Asa und Elgin während einer Drogenfahrt getötet werden. Nun finden sich erstmals alle bislang verfeindeten Gruppen zusammen. Frau Krummgiebel bringt es auf den Punkt: »Warum kümmert sich der Mensch nie um die, die Hilfe brauchen?«, fragt sie.

Die Gesellschaftskritik wird in jeder Szene der Schauspiels deutlich – seien es die stumpfsinnigen Naborgs, die alles Neue hassen und nur mit Gewalt zu reagieren wissen, die drogensüchtigen, perspektivlosen Rooks, die ihr Leben nur noch »als Zombies« wahrnehmen, oder die Neuborger, denen als Ausländer von allen Seiten Verachtung entgegenschlägt. Die Gier herrscht in dieser Welt, die Gier nach Macht, Essen und Dominanz – Wolfshunger eben. Klischees und Stereotypen werden genutzt, um aktuelle Situationen anzuprangern.

Armut, Arbeitslosigkeit, Hungersnöte, Wetterkatastrophen und Drogenprobleme bestimmen in dem Theaterstück das Bild der Zukunft – dies ist heute kaum anders. Bunte Kostüme mit engen Stretchhosen bei den Rooks, die Schlä-geroutfits der Naborg, die wallenden Gewänder der Neuborger und die maßgeschneiderten Anzüge der Rechtsanwälte und Frauen der Oberschicht – die Kostüme ließen die Gesinnungen der einzelnen Parteien jederzeit erkennen.

Witzig in Szene gesetzt und in keiner Sekunde langweilig brachten die Schauspieler die Thematik den Zuschauern näher. Schlüsche bot als Frau Krummgiebel, während des Stücks mehrfach auch Krummzwiebel oder Krummstapel genannt, eine ausgezeichnete Leistung. In einen Rollstuhl gezwängt, mit Krückstock und zitternden Fingern spielte sie die resolute alte Nachbarin, die sich nichts gefallen lässt, perfekt. Gegen die Naborgs liefert sie sich einen Kampf mit Krückstock gegen Baseballschläger, und am Ende ist sie es, die allen zeigt, dass es so nicht weitergehen kann. Die Erkenntnis des Stücks ist klar: Gewalt und Drogen lösen keine Probleme, sondern schaffen sie erst.

Alle Schauspieler der neunten und zehnten Klassen zeigten sich sehr textsicher und boten außergewöhnliche Leistungen. Mitgespielt haben neben den bisher Genannten: Janina Werner, Felix Otto, Pascal Seidel, Larissa Rahrig, Sandra Kappei, Jan Weitze, Rebecca Deutz, Denise Hattenbach, Romina Reese, Imke Heise, Nathalie Matuschewski, Larissa Manz, Stella Hermann, Jan-Philipp Ahrens, Julia Hesse, Larissa Wenzig, Verena Stahlmann, Jan Wille, Kimberly Bartols, Juliane Stahnke, Anastasia Lisizin, Stephanie Wille, Larissa Römermann, Sergej Künstler, Victoria Lachmann, Rabea Scholz, Vivian Wagenführ, Janina Werner, Aylin Wesemann, Jo-Ann Schlegel, Christina Meyer, Rojin Yildirim, Yenthrin Bui, Nadeschka Houlgatte, Seyhan Özkan, Gülan Akay, Cihan Akkurt, Azin Karami und Olga Erhart. Für die Maske waren Britta Bossmann-Henkel und Julia Guske zuständig, die einen hervorragenden Job machten, ebenso wie die Frisurengestalterinnen Jacky Henne und Cathrin Stiemer. Die technische Leitung von Arne Dorn und Domenico Antonio Piccolo verlief reibungslos, und auch Souffleuse Nicole Fuchs musste nur selten eingreifen. Das Plakat entwarf Ute Reichmann.

Es war ein unterhaltsamer Abend mit glänzend aufgelegten Schauspielern, einem Stück, das Probleme aus der heutigen Zeit auf eine andere Zeitebene überführt und die Zuschauer somit aufrüttelte und zum Nachdenken anregte.tc