Was im Cockpit gilt, ist fürs (Berufs-)Leben nicht verkehrt

Lufthansa-Kapitän Hans-Jörg Oedekoven als Festredner beim Gildentag im BBS-Forum / Kritik annehmen, auf Rückmeldung setzen

Teamwork – was im Cockpit eines Flugzeugs wichtig ist, funktioniert auch in anderen Lebensbereichen, beispielsweise im Handwerk. Das Wie erläuterte der Festredner des Gildentages in Einbeck, Hans-Jörg Oedekoven. Der Lufthansa-Kapitän ging auf die Bedeutung flacher Hierarchien und stetiger Rückmeldung ein. So ließen sich Fehler erkennen und Abläufe verbessern.

Einbeck. Als »Hans-Jörg« stellte sich der Referent dem Publikum vor: »Bei uns im Cockpit ist das Du wichtig, es flacht das Hierarchiegefälle zwischen Kapitän und Copiloten ab.« Der Kapitän sei zwar der Chef, doch ohne seinen Copiloten sehr allein. Er müsse auf die Hilfe eines kompetenten Mitarbeiters zählen. Eine Ein-Mann-Show werde auf Dauer nie erfolgreich sein. Zwar werde überall von Teamarbeit gesprochen, aber vermutlich sei die Cockpit-Besatz die einzige, die das wirklich praktiziere, sagte Oedekoven. Den Chef auf Fehler hinzuweisen, sei hier tägliche, mitunter überlebenswichtige Praxis. Während in anderen Wirtschaftsbereichen viel Zeit damit vertan werde, am Stuhl des anderen zu sägen, sei das in der Fliegerei nicht der Fall. Der Mensch sei allein nicht in der Lage, sich im dreidimensionalen Raum zu orientieren. Dafür seien die Instrumente notwendig, aber Überwachung mit Hilfe des Kollegen seien auch unverzichtbar. »Wenn es bei uns schief geht, sterben auch wir selbst«, so der Flugkapitän.

»Es ist daher sozusagen ein natürlicher Selbsterhaltungstrieb, der uns im Cockpit zu einem anderen Umgang zwingt.«Dazu brauche man Rahmenbedingungen. So gelte beispielsweise das Senioritätsprinzip, das heißt, ein Aufstieg sei nur möglich, wenn man an der Reihe sei - es werde also nicht an Stühlen gesägt. Ganz wichtig sei zudem, in Sicherheit zu investieren: »Wenn Sie denken, Sicherheit sei teuer, probieren Sie mal einen Unfall.« Weiter gebe es die Möglichkeit, gemachte Fehler anonym zu berichten. »Wird der Vorschlag derjenigen von der ›Front‹ von Ihnen immer als total wichtig angesehen?«, wandte er sich ans Publikum. Bei Vorschlägen frage er sich, warum der Kollege wohl auf diese Idee gekommen sei und ob er selbst etwas Wichtiges übersehen habe.

Gebe es Probleme, sei zuerst die Einschätzung des Copiloten wichtig: Vielleicht sehe er die Lage ähnlich, habe einen gleichen Vorschlag wie der Kapitän. Vielleicht habe er aber auch einen anderen Rat, der den Chef vor einer Fehlentscheidung bewahren könne. Wer wisse, dass er Kritik äußern könne und dabei erfahre, dass sie angenommen werde, fühle sich wertgeschätzt, seine Motivation zur Mitarbeit werde steigen.

Bei 80 Prozent der Unfälle in der Luftfahrt sei der Kapitän derjenige, der das Flugzeug steuere. Er habe zwar die größere Flugerfahrung; der Grund sei aber, dass sich das Team aufgelöst habe, vielleicht durch autoritäres Auftreten oder durch Verletzung der Umgangsformen. »Mach’ doch deinen Mist allein«, dieses Denken sei im Cockpit völlig fehl am Platz. So sei der größte Unfall aller Zeiten 1977 vor Teneriffa mit 583 Toten auf dieses Verhalten zurückzuführen: Der Copilot sagte zweimal, dass seiner Meinung nach noch keine Freigabe zum Start vorliege; ein drittes Mal traut er sich nicht, den Checkkapitän auf den möglichen Fehler hinzuweisen – mit fatalen Folgen. »Das Wissen, die Erfahrung und das Können der gesamten Mannschaft zu nutzen, ist die Kunst«, betonte Oedekoven.

In der Praxis bleibe allerdings oft nicht die Zeit, um jedes Problem ausführlich mit allen zu diskutieren. Deshalb müsse man Strategien entwickeln, die nicht zeitintensiv seien. Hier nannte er »FORDEC«, die englische Abkürzung für Fakten, Optionen, Risiken und Vorteile, Entscheidung, Ausführung, Checken: Man sammelt Fakten, dann kümmert man sich um die möglichen Optionen, das Problem zu lösen. Schließlich bewertet man Risiken und Vorteile der verschiedenen Optionen. Als letztes kommt der wichtigste Punkt, der Check, ob der Weg zu einer guten Lösung führt. An Gedankenspielen erläuterte der Pilot das Verfahren, das eigentlich nichts Neues sei. Man müsse sich nur angewöhnen, diese Schleife in Gedanken bewusst zu durchlaufen. Sie mache sicherer, alles Wichtige berücksichtigt zu haben. Wahre Zeitnot mache allerdings auch einmal andere Verfahren notwendig, verwies er auf die Landung auf dem New Yorker Hudson River des Kollegen Sullenberger. Jeder habe individuelle Wege zu prüfen, ob alles Wichtige erledigt sei. So sollte man seine tägliche Arbeit immer wieder auf den Prüfstand stellen. Damit könne man vermeiden, selbstgefällig zu werden und zu glauben, man hätte alles locker drauf.

Wichtig sei ihm persönliche Rückmeldung. So bitte er seinen Copiloten vor einer Fünf-Tages-Tour immer, ihm am Ende mindestens zwei Dinge zu nennen, die er, Oedekoven, nicht so gut mache. Vielleicht gebe es gar nichts zu bemängeln, dann habe er wirklich gut gearbeitet – oder er erhalte hilfreiche, konstruktive Kritik. »Ein hervorragender Pilot ist ein Pilot, der hervorragende Entscheidungen trifft, um Situationen zu vermeiden, die hervorragende Fähigkeiten erfordern würden«, sagte er abschließend.

»Lassen Sie uns alle stets auf dem Teppich bleiben, auch wenn meiner oft ein fliegender ist«, verabschiedete er sich nach einem unterhaltsamen Vortrag von seinem Publikum.ek