Wenig Ansprüche an Standort

Pflanzenporträt der Knoblauchsrauke | Blätter als Salatwürze

Einbeck. L5T6K3F5R7N9S0 – nein, das ist kein unknackbares Passwort, sondern der ökologische Steckbrief der Knoblauchsrauke (Allaria petioloata). Die Kombination aus Buchstaben und Zahlen geht auf Professor Heinz Ellenberg zurück, der von 1966 bis 1981 den Lehrstuhl für Geobotanik an der Georg-August-Universität Göttingen innehatte. Die von ihm eingeführten Zeigerwerte sind Kurzbeschreibungen für das ökologische Verhalten einer Pflanzenart, unter Berücksichtigung von sieben Standortfaktoren. Diese werden in einer neunteiligen Skala bewertet, wobei 1 das geringste und 9 das größte Ausmaß des betreffenden Faktors bedeutet; eine Ausnahme bildet das Wasser (Feuchte), dessen Skala bis 12 reicht.

Über die Knoblauchsrauke erfährt man folgendes: Lichtzahl (L) 5: sie ist eine Halb­schatten­pflan­ze.Temperatur (T) 6: sie wächst sowohl im Flachland als auch bis 1.000 Metern Höhe. Kontentalitätszahl (K) 3: sie kommt in großen Teilen Mitteleuropas vor. Feuchtezahl (F) 5: sie ist häufig auf mittelfeuchten Böden zu finden und fehlt auf nassen sowie auf öfter austrocknenden Böden. Reaktionszahl (R) 7: man findet sie niemals auf stark sauren, sondern auf schwachsauren bis schwachbasischen Böden. Stickstoffzahl (N) 9: sie wächst an übermäßig stickstoffreichen Standorten. Salzzahl (S) 0: sie erträgt kein Salz im Boden.

Alles in allem handelt es sich um eine Pflanzenart, die keine besonderen Ansprüche an den Standort stellt. Sie kommt sehr häufig vor und begegnet uns in Gebüschen, in Gärten, an Wald- und Wegrändern, auf Ruderalflächen sowie in feuchten und lichten Wäldern. Dort, wo sie wächst, kann man sich eine Bodenanalyse ersparen, denn der Boden ist garantiert reich an Stickstoffsalzen. Diese Zeigertätigkeit hat sie mit der Brennnessel (ebenfalls N9) gemeinsam.

Selbstverständlich bilden die Zeigerwerte nur einen Teil der Eigenschaften einer Pflanze ab. Dass die Knoblauchsrauke, die auch unter dem Namen »Gemeines Lauchkraut« bekannt ist, zu den Kreuzblütengewächsen gehört, verrät ein Blick auf die von April bis Juni erscheinenden 6 Millimeter langen weißen Blüten, bei denen die Kronblätter doppelt so lang sind wie die Kelchblätter. Die Bestäubung erfolgt durch Insekten. Als Frucht entwickelt sich eine vierkantige bis zu 6 Zentimeterlange Schote. Vor allem die rundlich-herzförmigen, gezähnten Blätter der bis zu 120 Zentimeter hoch werdenden Pflanzen verströmen beim Zerreiben einen starken Knoblauchgeruch. Wenngleich ihr etwas bitterer Geschmack nicht jedermanns Sache ist, lassen sich die Blätter als Salatwürze verwenden. Archäologische Funde belegen, dass die Knoblauchrauke bereits vor 6.000 Jahren auf dem Steinzeit-Speiseplan stand. Da­mit gilt sie als das älteste bekannte einheimische Gewürz. In der Pflanzenheilkunde wurde und wird die Knoblauchsrauke vor allem bei Erkrankungen der Atemwege eingesetzt. Bei Asthma und Husten helfen Saponine, ätherische Öle und andere Inhaltsstoffe. Ihre Konzentration lässt beim Trocknen deutlich nach, weshalb sie nur im frischen Zustand zu verwenden sind.

Wer weiß, womöglich wird der Knoblauchrauke demnächst eine ähnliche Beliebtheit zuteil wie die zur Mode-Salatpflanze aufgestiegene Senf-Rauke (Eruca sativa). Dass Rauke und Rauke nicht das Gleiche ist, zeigt ein Blick auf die Zeigerwerte der Senf-Rauke: L8T6K3F4R7N6S0. Richtig: sie mag ganz viel Licht und nicht so viel Stickstoff.

Ingirid Mülleroh