»Wenn ihr ein ungutes Gefühl habt, dann hört darauf«

Verein für Integration, Prävention und Sozialarbeit lud zu einem Informationsabend über sexuellen Missbrauch bei Kindern ein

»Wenn ihr ein ungutes Gefühl habt, dann hört darauf«, erklärten der Bamberger Theaterpädagoge Dirk Bayer sowie die Vertreter des Präventionsteams und des Fachkommissariats der Polizeiinspektion Northeim/Osterode unisono auf einem Informationsabend über sexuellen Missbrauch von Kindern, zu dem der Verein für Integration, Prävention und Sozialarbeit (FIPS) geladen hatte.

Einbeck. Auf dem Informationsabend in der Grundschule am Teichenweg spielte Dirk Bayer, zusammen mit seiner Kollegin Dorothea Schreiber, Szenen aus dem Präventionsstück »Hau ab«, das vornehmlich an Schulen aufgeführt wird. In dem interaktiven Schauspiel, das im Austausch mit dem Arbeitskreis gegen sexuellen Missbrauch entstand, wurden immer wieder Pausen gemacht, um auf die einzelnen Situationen einzugehen.

Eine Szene behandelte den »ominösen schwarzen Mann«, der versucht, ein Kind in Bedrängnis zu bringen und es anschließend wegzulocken. Durch die Art und Weise, wie das Kind bedrängt werde, zum Beispiel durch die Berührung, die Sprache und die Wegweisung, entstehe beim Kind ein ungutes Gefühl. »Wir möchten das innere Gefühl bei den Kindern bewusst machen und sie lehren, darauf zu hören«, erklärte Bayer. Auch soll ihnen gezeigt werden, welche Schutzmöglichkeiten sie haben. »Wir empfehlen anstatt ‘Hilfe’ immer ‘Hau ab’ zu schreien und dann wegzulaufen«, erklärten Bayer und Schreiber. Denn auf das Wort »Hilfe« wüssten die meisten Menschen nicht, wie sie reagieren sollten. Es könnten Fehlinterpretationen entstehen. Der Ausruf »Hau ab« habe den Vorteil, dass man es lauter schreien könne und dieser von Außenstehenden besser wahrgenommen werde.

Das Stück behandelt unter anderem Fluchtalternativen für Kinder, die in so einem Fall bedrängt werden. »Wir lassen die Kinder ihre Lösungsmöglichkeiten selber spielen. Dadurch erkennen sie, was funktioniert und was  nicht«, so Bayer. Dabei biete sich zum Beispiel die Flucht zurück in die Schule, in einen Laden oder durch das Klingeln an einer Haustür an. Selbst wenn keiner aufmache, würde das häufig schon genügen, da der Täter keine Zeugen haben will. »Beim sexuellen Missbrauch geht es vornehmlich um Macht und nicht um Sex. Sobald Zeugen da sind, wird es für den Täter zu gefährlich und zu anstrengend«, berichtete der Theaterpädagoge. Ebenfalls wurden den Kindern für den äußersten Fall Notgriffe gezeigt, um dem Täter einen Schrecken einzujagen und Hilfe zu holen.

Eine weitere Szene spielte im erweiterten Familienkreis. So wurde an einem Beispiel deutlich gemacht, wie ein solcher Missbrauchsfall im vertrauten Kreis entstehen kann. Wenn zum Beispiel der »liebe Onkel« gegen den Willen des Kindes Gefälligkeiten einfordere und es mit Geschenken oder ähnlichem erpresse, dann sei das bedenklich. Dabei sei es kein Problem, zum Onkel »Hau ab« zu sagen oder den Eltern zu erzählen, was an der Art des Onkels unangenehm ist. »Wir sagen den Kindern immer, sich einen Lieblingsmenschen zu suchen, dem sie sich in so einem Fall anvertrauen können«, erläuterte Schreiber. Wichtig sei es, »Nein« zu sagen, Hilfe zu holen und mit dem Lieblingsmenschen zu reden. »Wir sagen ihnen immer, wenn ihr ein ungutes Gefühl habt, dann hört darauf« erklärte Bayer, und er fügte an: »Wir möchten mit diesem Stück nicht nur das innere Gefühl der Kinder stärken, sondern ihnen auch zeigen, darauf zu vertrauen.«

Die Situationen in den Szenen seien überzeichnet, um darauf aufmerksam zu machen, wie man eine Grenze setzt und sich verhält. Auch sollen die Eltern für die Gefühle der Kinder sensibilisiert werden und lernen, diese ernst zu nehmen. »Richten sie eine Möglichkeit ein, mit ihrem Kind über die Geschehnisse des Tages zu sprechen, auch wenn es nur fünf Minuten sind«, sagte der Bamberger Theaterpädagoge.

Von ihrer Arbeit mit Missbrauchsfällen berichteten die Vertreter des Präventionsteams und des Fachkommissariats der Polizeiinspektion Northeim/Osterode, Gabriele Semmelroggen und Thomas Sindram. In vielen Fällen eines versuchten Missbrauchs fehlte die Möglichkeit Indizien zu sammeln, da die Opfer nicht umgehend zur Polizei gingen und so der Täter schwer zu ermitteln sei. Ein weiteres Problem sei das Abwägen der Aussagen. »Oft wird auch Panik verbreitet, ohne das es eine genaue Beschreibung gibt. Da muss man vorsichtig sein und abwägen«, berichtete Sindram. An den Schulen gebe man Tipps und Tricks im Umgang mit möglichen Fällen. »Wer sich wehrt, lebt nicht verkehrt«, erklärte Sindram im Zuge des Aufbaus der Präventionsstunden an den Schulen. Dort werde den Kindern Mut gemacht, um aus der Situation herauszukommen. Zudem werde erklärt, warum und wie man sich wehren soll. Wichtig sei, dass man dem Kind zuhöre, wenn es auf einen zukommt.

Auch bei der Vernehmung der Opfer gebe es Schwierigkeiten. »Oft wird den Kindern ein Schuldgefühl zugewiesen und sie schotten sich immer mehr ab«, berichtet Semmelroggen. Rechtlich gebe es bei Tätern aus dem Familien- und Verwandtenkreis Probleme im Zuge des Aussageverweigerungsrechts. Findet eine Befragung des Kindes statt, werde darauf geachtet, das Kind nicht ständig mit dem Geschehenen zu konfrontieren und es zu entlasten. »Meist versuchen wir, es in einem detaillierten und intensiven Gespräch zu befragen«, so Semmelroggen. Dabei werde zudem beobachtet, wie das Kind physisch und psychisch bei der Befragung reagiere.

Zum Abschluss dankte der FIPS-Vorsitzende Stefan Jagonak den beteiligten Akteuren für ihre Ausführungen im Rahmen des Informationsabends sowie der Jugendstiftung des Landkreises Northeim für die Unterstützung. »Wir wollen dieses Thema enttabuisieren und dafür sensibilisieren, ohne dabei Ängste zu schüren«, erklärte Jagonak, dessen Verein ehrenamtlich tätig und auf Mitglieder und Spenden angewiesen ist. Dirk Bayer und Dorothea Schreiber machten im Zuge der Veranstaltung mit demTheaterstück »Hau ab« an Einbecker Schulen halt.thp