»Wer hilft, kann nichts falsch machen«

Auftaktveranstaltung für »Zweite Erste Hilfe« | Kurse besuchen und verschüttete Kenntnisse auffrischen

Einbeck. Nach einem Verkehrsunfall können die ersten Minuten über Leben und Tod der Verletzten entscheiden. Deshalb ist es der Einsatz von Ersthelfer so wichtig. Und da niemand sicher sein kann, dass er nicht selbst einmal in die Situation gerät, Erste Hilfe zu leisten, sollen die Bürger animiert werden, ihre Kenntnisse aufzufrischen: mit einem zweiten Erste-Hilfe-Kurs. Unter der Schirmherrschaft des Mediziners, Kabarettisten und TV-Moderators Dr. Eckart von Hirschhausen ist die bundesweite Initiative »Runter vom Gas« des Bundesverkehrsministeriums vor kurzem in Berlin vorgestellt worden. Für Niedersachsen ist der Startschuss nun in Einbeck in der »Genusswerkstatt« unter Federführung der Polizeidirektion Göttingen und der Polizeiinspektion Northeim/Osterode gefallen.

Polizeipräsident Robert Kruse und Vertreter von Rettungsorganisationen, riefen dazu auf, das Erste-Hilfe-Wissen aufzufrischen, aber auch derjenigen, der nicht »perfekt« helfen könne, sei wichtig: »Wer hilft, kann nichts falsch machen.« Zehn Prozent der Verkehrstoten könnten noch leben, wenn bei ihnen jemand Erste Hilfe geleistet hätte. Diese Zahlen sind erschreckend. Erschreckend ist aber auch, dass sich viele Verkehrsteilnehmer nicht trauen einzugreifen, zumal nur etwa jeder dritte Autofahrer die wichtigsten Handgriffe kennt. Das soll die Initiative für die »zweite Erste Hilfe« verbessern, die dazu aufruft, Kenntnisse aufzufrischen und auf den neuesten Stand zu bringen. Er habe, so Polizeipräsident Robert Kruse, die Schirmherrschaft gern übernommen, denn jedem könne es passieren, auf eine Notsituation treffen, schon hinter der nächsten Kurve. Es sei häufig gar nicht böser Wille, sondern Unsicherheit, der ein Eingreifen verhindere. Aus Sorge, etwas falsch zu machen, tue man lieber gar nichts. »Man kann gar nichts verkehrt machen«, betonte Kruse.

Noch besser wäre allerdings, es richtig zu machen. 2013 gab es 412 Verkehrstote in Niedersachsen; 40 von ihnen könnten (statistisch) noch leben – »und dafür lohnt es sich, verschüttete Erste-Hilfe-Kenntnisse wachzurütteln. « Wichtig für die Helfer sei es vor allem, dass sie sich sicher fühlten. Die angestrebte Senkung der Zahl der Verkehrstoten um ein Drittel bis 2020 sei ein ehrgeiziges Ziel, so Kruse weiter; die nun angelaufene Aktion könne dabei als guter und richtiger Schritt helfen. Auch in der Polizeiinspektion Northeim-Osterode seien die Unfall- und Opferzahlen nach unten gegangen, sagte Polizeidirektor Hans Walter Rusteberg. Dennoch gebe es Möglichkeiten, sie weiter zu senken. Dass es trotz niedriger Unfallzahlen und sinkener Schwerverletztenzahlen noch Handlungsbedarf gebe, bestätigten auch die für Verkehr zuständigen Polizeihauptkommissare Peter Schliep und Peter Osburg. Wie Erste Hilfe praktisch aussehen kann, berichtete eine Ersthelferin. Sie sei, so Polizeihauptkommissar Dieter Armbrecht, zuständig für Verkehrsprävention, im vergangenen Sommer auf einen soeben passierten schweren Verkehrsunfall zugefahren. Die 24-Jährige war mit ihrem Freund unterwegs, als sie ein verunglücktes Auto sah, das gleich in Brand geriet.

Gemeinsam konnten sie zwei Insassen aus dem Fahrzeug ziehen. »Da zu stehen und nichts zu tun, das wäre das Schwerste gewesen«, sagt die junge Frau. Sie seien an einem schönen Sommertag unterwegs gewesen, und hinter einer Kurve sahen sie das Unglück – eine Situation, die jeden treffen könne, ist die Göttingerin überzeugt. Immer wieder habe sie sich die Frage gestellt, ob sie alles richtig gemacht habe. Sie habe auf vorbildliche Weise Leben gerettet, versicherte ihr Dieter Armbrecht – dafür könne man nur Dank sagen, was er mit einer kleinen Anerkennung unterstrich. Zu den Kooperationspartnern von »Runter vom Gas« gehören der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter Unfallhilfe und die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft sowie die Verkehrswacht. »Erste Hilfe ist bei uns Tagesgeschäft«, betonte Sven Obermann vom ASB. Den Gedanken, die Kenntnisse aufzufrischen, wolle man in die Region tragen, um die Bürger zu motivieren. »Ersthelfer am Unfallort stellen wichtige Weichen.« Das bestätigte auch Steffen Bahr von den Johannitern: In Niedersachsen gebe es ein gut strukturiertes Rettungswesen mit rund 290 Rettungswachen. Zehn Minuten oder länger könne es dauern, bis der Rettungsdienst vor Ort sei – eine Zeit, die für die Ersthelfer zur Ewigkeit werden könne. Viele würden die Situation als chaotisch empfinden, seien nicht in der Lage, einen Notruf abzusetzen oder die Unfallstelle abzusichern. Da sei es wichtig, gezielt zu handeln.

Dass viele sich so schwer tun würden zu helfen, liege an ihrer Angst, etwas falsch zu machen, weiß Markus Schiffer vom DRK aus Erfahrung. »Nur wer nichts macht, macht etwas falsch«, sagte er. Häufig komme es sogar dazu, dass viele Schaulustige dabei stehen würden, ohne etwas zu tun. Die meisten Kursteilnehmer kämen aus beruflichen Gründen, berichtete Olaf Stehlmann von der DLRG; das private Interesse sei eher gering, sei es aus Zeitmangel, sei es aus Bequemlichkeit. Dabei seien regelmäßige Auffrischungskurse wichtig. Und die sind weder langwierig noch teuer: Schon in zwei Stunden kann man die wichtigsten Handgriffe (wieder) erlernen; die Kosten belaufen sich auf zwölf bis 50 Euro. »Das ist gut investiertes Geld, es trägt Zinsen, wenn man damit Leben retten kann.« Die Hilfsorganisationen plädieren dafür, etwa alle zwei Jahre eine Auffrischung vorzunehmen oder einen kompletten Kurs zu besuchen.

Die aktive Teilnahme sei der Internet-Anleitung in jedem Fall vorzuziehen. Erste Hilfe, da sind sie einig, sei keine Zauberei, sondern etwas, was man leicht erlernen könne: »Wir wollen begeistern und animieren, einen solchen Kurs zu nutzen.« »Geringer Aufwand, großer Nutzen«, damit warb Polizeipräsident Kruse für die Aktion: Jeder sollte in der Lage sein, als Ersthelfer agieren zu können, wobei das nicht nur für Verkehrsunfälle gelte, sondern auch für Unglücke in der Familie, der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz.oh