»Wir werden weiter auf die Lebenshilfe zählen«

50-jähriges Bestehen gefeiert | Sozialministerin Cornelia Rundt gratuliert und lobt das Engagement | Ziel: Teilhabe

»Das eine Kind ist so, das andre Kind ist so«, mit ihrem Eingangslied haben die Mädchen und Jungen aus dem Heilpädagogischen Kindergarten eigentlich alles gesagt. Damit alle, die »so oder so« sind, unter möglichst gleichen Bedingungen leben können und entsprechend ihren Bedürfnissen unterstützt und gefördert werden, gibt es Einrichtungen wie die Lebenshilfe. In Einbeck konnte sie jetzt ihr 50-jähriges Bestehen feiern. Festrednerin war die Niedersächsische Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration, Cornelia Rundt.

Einbeck. Die Ministerin kenne die Einbecker Lebenshilfe schon lange, stellte die Vorsitzende Dr. Isolde Zinser-Schulz den Gast vor, mehrfach sei sie in ihrer Funktion als Vorsitzende des Paritätischen hier gewesen. Die Erfahrungen aus diesem Amt würden ihr bei der Arbeit als Ministerin sicher ­helfen. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung habe aufgeschreckt, so die Vorsitzende. Inklusion sei nicht zum Nulltarif zu haben. Die Lebenshilfe sehe ihre Aufgabe darin, behinderte Kinder und Jugendliche so zu fördern, dass sie ihren Platz in der Gesellschaft finden würden. Den Grundstein dafür legten Eltern behinderter Kinder in Einbeck im Sommer 1963; im Januar 1964 wurde der Verein gegründet. Die Entwicklung zeigte ein von Eberhard Schmah gedrehter Film, eine eindrucksvolle und unterhaltsame Zeitreise, für die mit Dr. Kurt Quensell, Bettina Huchthausen und Margret Weinknecht langjährige Vorstandsmitglieder als Zeitzeugen vor die Kamera traten.

Ministerin Cornelia Rundt betonte, sie nutze das Jubiläum gern, um Dank zu sagen für die Arbeit für Menschen mit Behinderung. Sie mehr in die Mitte der Gesellschaft zu stellen, dorthin, wo sie hingehörten, sei eine wichtige Aufgabe. Nach dem schrecklichen Umgang mit Behinderten während der Zeit des Nationalsozialismus sei es auch in den ersten Jahren der Bundesrepublik noch schwierig für betroffene Eltern gewesen: Geistig behinderte Kinder erhielten keine Förderung, die Bildungs­fähigkeit wurde ihnen abgesprochen. Für Eltern galt es als Makel, ein behindertes Kind zu haben. Es habe keine Lebensperspektiven gegeben, Frühförderung ebensowenig wie Regelkindergärten; allenfalls blieb der Besuch der sogenannten Hilfsschule. Vor diesem gedanklichen Hintergrund wurde 1958 von Tom Mutters, einem Lehrer, der sich für soziale Belange einsetzte, der Bundesverband der Lebenshilfe gegründet. Er habe etwas auf den Weg gebracht, eine herausragende Leistung sei daraus erwachsen. In den Einrichtungen sollten die Kinder nicht nur betreut, sondern auch erzogen und gefördert werden – das bedeute auch eine spürbare Entlastung für die Familien. Heutiges Ziel sei die Inklusion, also die vollständige Teilhabe Behinderter am Lebensalltag. Für die Bewältigung dieses Vorhabens brauche man die Lebenshilfe, betonte Rundt. »Wir werden und müssen weiter auf die Lebenshilfe zählen.« Sie vertrete die Interessen der Betroffenen, sei ihr Verband. Auf Landesebene werde mit Hochdruck an einer inklusiven Gesellschaft gearbeitet, ganz unterschiedliche Beteiligte seien gefragt, »in Inklusion zu denken«. Menschen mit Behinderungen seien Experten in eigener Sache und in Fachkommissionen über ihre Verbände beteiligt.

In der Schulpolitik werde die Wandlung nicht reibungslos vonstatten gehen, sagte sie, aber es müsse immerhin ein System umgestellt werden. Barrierefreier Zugang sei mehr, gedanklich dürfe man nicht nur bei den Treppenstufen stehen bleiben. Die Landesregierung stelle 550 Millionen Euro zur Verfügung, um Dinge voranzubringen. Dabei gelte es, bei den Kleinsten anzufangen und den Inklusionsgedanken in die Gesellschaft wachsen zu lassen. Sie freue sich über und auf die künftige Zusammen­arbeit von Lebenshilfe und Landesregierung. Man wisse, dass man es nicht beim Reden belassen dürfe, sondern dass Umsetzungsschritte gefragt seien. Es sei lohnend, sich in die inklusive Gesellschaft zu tasten. Den Mitgliedern der Lebenshilfe dankte sie für ihren unglaublichen ehrenamtlichen Einsatz, den Beschäftigten dafür, dass sie nicht einem Job nachgingen, sondern einer Herzensangelegenheit.

»Die Begeisterung ist spürbar«, damit gratulierte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Lebenshilfe, Rolf Flathmann, zum Jubiläum. Er lobte, auch im Namen der Bundesvorsitzenden Ulla Schmidt, das erstklassige Dienstleistungsangebot für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Die Gründergene­ration habe sich vermutlich nicht vorstellen können, was aus ihrer Idee wurde. Für die Zukunft sei es wichtig, auch jüngere Eltern anzusprechen, denn das erreichte sie nicht selbstverständlich und müsse fortgeführt werden. Als Mitglied im Verein Lebenshilfe könne man als Betroffener den Kurs mitbestimmen. Dass man gemeinsam etwas erreichen wolle und könne, zeichne die Lebenshilfe aus. Man glaube daran, dass Veränderungen in der Gesellschaft möglich seien. Dabei zählten nicht Einzelkämpfer, sondern die Gemeinschaft. »Sie haben viel auf die Beine gestellt«, das zeige der Blick in die Geschichte. »Ein inklusives Gemeinwesen ist unser Ziel«, und dabei brauche man Unterstützung. Je früher man einsteige, desto weniger Barrieren und Vorurteile gebe es. Vielfältige Gesellschaft müsse als Reichtum erlebt werden. »Eine Schule für alle« sei eine große Herausforderung für die Gesellschaft, auch finanziell. Es sei hilfreich, von guten Beispielen zu lernen und zusammen daran zu arbeiten, dass alle Ja zum Ziel der inklusiven Gesellschaft sagen. Die Lebenshilfe sei ein Motor dafür, ein glaubwürdiger Botschafter dieser Ideen. Von der Fürsorge müsse man zur Stärkung der Teilhabe kommen. Dafür sei ein Bewusstseinswandel Voraussetzung, »und dazu brauchen wir Ihr Engagement.« Das Lebenshilfe-Motto zum Jubiläum, »50 Jahre jung und voller Tatendrang«, zeige, dass man sich nicht auf Erreichtem ausruhen wolle, sondern neue Ziele ins Auge fasse.

Mit »Respect« hatte die 15-jährige Marlene Wenzig ein sehr passendes Musikstück ausgesucht. Sie trug, begleitet vom Duo »Catuna Jam«, ebenso zur Unterhaltung bei wie die Kinder der Einrichtung mit zwei Liedern und dem zauberhaften Theaterstück »Was ist los, kleine Eule?«.ek