Wissenschaftler aus Berlin finden seltenen Käfer im Einbecker »Märchenwald«

Einbeck. Dr. Georg-Christian Möller (Zweiter von rechts), einer der bedeutenden Käfer-Experten Deutschlands, war jetzt zu Besuch im Einbecker »Märchenwald«. Waldökologe Henning Städtler (rechts) führte ihn und seinen Kollegen Manfred Schneider (links) durch das Kleinod im Einbecker Stadtwald. Ziel des Besuchs war eine Einschätzung, ob auf Grund der Waldstruktur genauere Käferuntersuchungen sinnvoll wären.

Auch Stadtwaldförster Klaus Weinreis (Zweiter von links) ist auf die Einschätzung gespannt und nahm sich Zeit, die Gäste zu begrüßen. Möller ist Spezialist für Käfer, die im Wald vorkommen und irgendwie an Holz- und Waldbodenstrukturen gebunden sind. Man nennt solche Insekten auch »xylobionte Käfer-Arten«. Während des Aufenthalts wurde die gesamte Fläche genau unter die Lupe genommen. Viele alte Bäume wurden von allen Seiten genau untersucht und Strukturen wie Astigkeit, Astlöcher, Spechtbruthöhlen, Fauläste, Todholz im Kronenbereich, liegendes und stehendes Todholz registriert. Die Vielzahl von starken alten Bäumen und die große Menge von Todholz in liegender und stehender Form beeindruckte die Experten. Auch die Waldpilze am Boden, an Holzresten und abgestorbenen Stämmen sind für die Käfer-Fauna von Bedeutung. Denn viele Pilze bilden die Nahrungs- und Entwicklungsgrundlage für etliche Käfer. In Deutschland kennt man über 1.000 Käfer- und mehr als 1.000 Pilzarten, die oftmals in einer engen Symbiose miteinander verflochten sind. Die Vielstufigkeit und Mehrschichtigkeit des »Märchenwaldes« sind Grundlage für Käfer-Lebensräume in verschiedenen Baumebenen.

Der »Märchenwald« ist durch seine Flächengröße und sein hohes Alter (über 200 Jahre) ein wichtiger Vernetzungspunkt solcher Urwälder von morgen mit anderen ähnlich alten Waldflächen, etwa im Landeswald im Solling. Rindenstücke wurden umgedreht und genau in Augenschein genommen, auch noch so kleine Eintrittsöffnungen von winzigen Käfern wurden entdeckt und die Größe von Larven oder Käfer-Bohrgängen einer Artengruppe zugeordnet. Allerdings war die einhellige Meinung, dass sehr viele Käfer sich bereits auf die Überwinterung vorbereiten und entweder als Käfer in entsprechenden Verstecken ihr Überwinterungsquartier bezogen haben oder im Ei- oder Larvenstadium überwintern. Laufkäfer, eine Untergruppe, sind an bestimmte Standortverhältnisse eines Waldes gebunden, sie können etwas über den ökolo-gischen Zustand der Waldflächen verraten. Flugunfähige Laufkäferarten eignen sich als Weiser dafür, dass auf diesen Flächen schon seit langer Zeit Wald gewachsen ist, man spricht auch von Habitattradition. Umso erfreuter waren die Gäste, als sie unter dicker Eichenrinde ein Käferpärchen in Winterruhe fanden. Die Bestimmung war für die Experten kein Problem, es handelte sich um den Schluchtwald- oder Bergwald-Käfer (Foto) mit dem wissenschaftlichen Namen »Carabus irregularis«.

Der Käfer kommt besonders in alten Edellaubholzwäldern wie eben dem »Märchenwald« vor und deutet auf eine jahrhundertlange Waldtradition hin. Der hohe Todholzvorrat und die kühle feuchte Lage bilden gute Ausgangsvoraussetzungen zum Überleben dieser Art. In der Dämmerung macht der Käfer Jagd auf kleine Insekten und Schnecken. In Deutschland ist er in der Roten Liste der gefährdeten Käferarten als stark gefährdet eingestuft. Die Wissenschaftler waren einig, dass dieser Zufallsfund nur der Anfang sein kann. Genauere Untersuchungen über eine Vegetationsperiode hinweg könnten noch andere Raritäten zum Vorschein bringen.oh