Zeichen gegen Gleichgültigkeit

Kranzniederlegung zum Gedenken der Reichspogromnacht am 9. November 1938

In Einbeck wurde am vergangenen Sonntag der Reichspogromnacht von 1938 und der Zerstörung der Synagogen in Deutschland gedacht. Die Novemberpogrome 1938 waren vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen gegen Juden gesamten Deutschen Reich. Sie markieren den Übergang von der Diskriminierung der deutschen Juden seit 1933 zur systematischen Verfolgung, die knapp drei Jahre später in den Holocaust mündete.

Einbeck. Am jüdischen Mahnmal in der Bismarckstraße legte Bürgermeisterin Dr. Sabine Michalek zum Gedenken einen Kranz nieder – diesmal nicht in den Abendstunden, sondern im Tageslicht, um auch denjenigen die Teilnahme des Gedenkens vor Ort zu ermöglichen, die nicht gerne im Dunkeln unterwegs sind. Statt der traditionellen Kerzen wurden – einem alten jüdischen Brauch entsprechend – Kieselsteine bereit gehalten, die zum Gedächtnis auf dem Mahnmal abgelegt werden konnten.

In den Novembertagen vor 76 Jahren wurden Synagogen angezündet, Geschäfte von jüdischen Mitbürgern verwüstet und Deutsche jüdischen Glaubens verhaftet. Welche Grundstimmung damals herrschte, könne sich die jüngere und mittlere Generation  heute kaum noch vorstellen, meinte Dr. Michalek. Die öffentlich praktizierte Gewalt gegen Sachen wie Personen und auch die Gleichgültigkeit gegenüber offensichtlichem Unrecht – sicher auch gepaart mit der Angst, den willigen Helfern des Regimes aufzufallen und selbst Schaden zu nehmen –  hätten 1938 dazu  geführt, dass »die wahnsinnigen Pläne Hitlers« in Bezug auf die jüdischen Mitbürger und viele andere Minderheiten Stück für Stück in die Tat umgesetzt werden konnten – bis hin zur Deportation und Vernichtung in den Konzentrationslagern. »Der Holocaust bleibt bis heute jenseits aller Beschreibungs- und Erklärungsversuche ein einzigartiges Phänomen, dem man sich nur mit Erschrecken nähern kann.«

Vertreibung, Entrechtung und Völkermord würden dennoch immer wieder weltweit auftreten. Die Menschen seien heute desillusioniert darüber,  dass eine so tiefgreifende Erfahrung wie der Holocaust das individuelle Handeln der Menschen in ethnischen Konflikten nicht dauerhaft zu anderem Verhalten verändern könne. Deshalb bleibe das Erinnern an diese Zeit in Deutschland wichtig, fuhr die Bürgermeisterin fort. Denn das Gedächtnis der nicht unmittelbar Betroffenen neige zur Verdrängung, zum Vergessen. Und es gebe nicht mehr viele Menschen in Deutschland, die ihren Nachfahren von der Zeit des Nationalsozialismus erzählen könnten, Bücher und moderne Medien könnten den authentischen Eindruck nur eingeschränkt erreichen.

Man könne nicht wieder gut machen, was Nazideutschland den Juden angetan habe, sagte die Bürgermeisterin. Aber man könne dafür sorgen, dass in Erinnerung und Verantwortung für die Gesellschaft heute und immer wieder ein Zeichen gegen Gleichgültigkeit gesetzt und Rassismus entgegen getreten wird. Weltoffenheit und Toleranz solle man zur Grundlage des politischen und individuellen Handelns machen. Menschen, die in Folge von Krieg, Völkermord und Vertreibung als Flüchtlinge hierher kämen, solle man mit Respekt und hilfsbereit begegnen.

Gedenken, so Michalek weiter, sei kein Selbstzweck, sondern mache bewusst, dass alle Verantwortung für die Zukunft tragen – für Demokratie, Freiheit und ein friedliches, respektvolles und gleichberechtigtes Miteinander aller Bürger in diesem Land. sts