Zwei Jahre und drei Monate Haft für Brandstiftung

Jugendschöffengericht hält 21-jährigen Angeklagten für schuldig | Motiv Frust | Über Jugendstrafe auf ihn einwirken

Zwei Jahre und drei  Monate Jugendhaft, dieses Urteil hat das Jugendschöffengericht gestern für die schwere Brandstiftung in der Altendorfer Straße im vergangenen August verhängt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 21-jährige Angeklagte das Feuer in dem Wohn- und Geschäftshaus im Vorflur seiner Wohnung gelegt hat. Das Gericht blieb damit unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die zweieinhalb Jahre Jugendhaft gefordert hatte. Verteidiger Olaf Wiesemann hatte auf Freispruch plädiert: Das Gericht müsse seinem Mandanten Schuld nachweisen, und das sei nicht gelungen. Zudem hätten sich die Ermittlungen früh auf ihn als Brandstifter fokussiert.

Einbeck. Zunächst wurden im Rahmen der Beweisaufnahme weitere Zeugen vernommen, deren Aussagen jedoch nichts Neues brachten, keine klare Aussage dazu, ob und von wem das Feuer gelegt worden. In ihrem Plädoyer, das gut 45 Minuten dauerte, erinnerte die Staatsanwältin an die Vorgänge der Brandnacht, die in der Verhandlung seit dem 15. April zusammengetragen worden seien. Ein Schaden von 1,3 Millionen Euro sei durch das Feuer entstanden. Man habe versucht zu klären, was geschehen sei, bevor das Feuer um 1.59 Uhr erstmalig vom Nachbarn gemeldet wurde, der vom Knistern der Flammen geweckt worden war. Das Feuer sei im Vorflur der Wohnung direkt an der geschlossenen Tür auf dem Boden ausgebrochen, so ein Gutachter. Dort standen Umzugskartons der Freundin des Angeklagten. Ursachen wie technische Defekte könne man ausschließen, erläuterte sie. »Es kommt nur Brandlegung in Betracht.« Bei der Frage wer dafür als Täter in Frage komme, ließen sich die weiteren Hausbewohner ausschließen.

Auch die Freundin scheide aus, sie sei alkoholisiert gewesen und habe geschlafen. Es falle, nicht zuletzt wegen vorangegangener Notrufe, in denen er von Streit mit seiner Freundin und seinem Vermieter berichtet habe, ein »erheblicher Verdacht« auf den Angeklagten. Es gebe keine Zeugen für die Tat, aber genügend Indizien. Zwischen dem Ende eines Ruhestörungs-Einsatzes der Polizei und der Meldung des Feuers gebe es ein Zeitfenster von 25 bis 30 Minuten, auch dieser kurze Zeitraum spreche für den Angeklagten als Täter: Er befand sich in einer Stresssituation, die Polizei habe auf seine Anrufe nicht reagiert, er sei mit 2,51 Promille stark alkoholisiert gewesen, und es habe in seinem Vorflur angefangen zu brennen. Der Angeklagte, das habe die Verteidigung ausgeführt, habe Feinde gehabt, aber es spreche einiges gegen einen unbekannten Dritten als Täter: Haus- und Flurtür seien geschlossen gewesen, das Haus sei hellhörig, einen Eindringling hätte man gehört, und sei wenig plausibel, dass ein Brandtstifter die Tür anschließend wieder schließe. Von einer Racheaktion von unbekannter Seite könne man nicht ausgehen.

Der Angeklagte sei zur Tatzeit noch Heranwachsender gewesen, ohne Schulabschluss, ohne Qualifikation, mit einem Alkoholproblem. Er lebe von Arbeitslosengeld II, ergreife, das habe die Jugendgerichtshilfe ausgeführt, keine Eigeninitiative, um seine Situation zu verbessern. Dass er unter Alkoholeinfluss gehandelt und sich unter Stress befunden habe, spreche zu seinen Gunsten. Gegen ihn wirke sich aus, dass er das Ausmaß seiner Tat nicht realisiert habe. Er habe versucht, seinem Ärger Luft zu machen. »Schwere Schuld« und »schädliche Neigungen« ließen sich nachweisen. Jugendrecht, das für die Verurteilung herangezogen werden sollte, stelle nicht die Sühne in den Mittelpunkt, sondern die Hilfe. Die Anklagevertreterin plädierte für eine Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Diese Zeit werde der Angeklagte für Schulabschluss und Beginn einer Ausbildung benötigen.

Eine faire Verhandlungsführung bescheinigte Pflichtverteidiger Olaf Wiesemann dem Gericht. Er stellte in Frage, dass die Schuld, wie es die deutsche Rechtsprechung vorsehe, tatsächlich bewiesen sei. Dass man technische Defekte »weitgehend« ausschließen könne, halte er für »recht dünn«. Vielmehr hätten sich die Ermittlungen schnell auf den Angeklagten fokussiert. Es sei nicht alles im Sinne sorgfältigster Ermittlungen getan worden, vielmehr seien Fragen offen geblieben. Gegen den Angeklagten spreche, dass er vor Ort gewesen sei, zudem »sternhagelvoll«, und dass er Streit hatte. Daraus ein Motiv zu machen, sei ein ungerechtfertigter Zirkelschluss. Vielmehr habe die Polizei über den Einsatz bei der Ruhestörung berichtet, man habe vernünftig mit ihm sprechen können. Alles andere sei Spekulation. Der Angeklagte sei nicht beliebt, er hatte Feinde, Dritte seien in der Wohnung gewesen. Unmittelbare Tatzeugen gebe es nicht. Der Angeklagte sei kein Brandstifter, zwar auch kein Unschuldsengel, aber er habe keine einschlägigen Vorstrafen. Die Zweifel an der Schuld müssten überwiegen, deshalb komme nur ein Freispruch in Frage. Auf das Recht, das letzte Wort zu haben, bevor sich das Gericht zur Beratung zurückzog, verzichtete der Angeklagte. Zwei Jahre und drei Monate Jugendstrafe, so lautete das Urteil. Der Angeklagte sei schuldig, auch wenn man ihn als Täter nicht auf frischer Tat überführt habe, sagte Amtsgerichtsdirektor Thomas Döhrel. Die freie Beweiswürdigung von Sachindizien habe das Gericht überzeugt. Als er im Vorflur seiner Wohnung die Kartons angezündet habe, habe er sicher nicht die Absicht gehabt, das ganze Haus anzustecken, dies aber billigend in Kauf genommen. Der Angeklagte sei zum Tatzeitpunkt der einzige in der Wohnung gewesen, der wach gewesen sei. Dass Dritte in der Wohnung gewesen seien, könne man komplett ausschließen. Die Argumentation, dass der Angeklagte nicht besonders beliebt sei, habe das Gericht nicht überzeugt. Vorfälle, die bei der Polizei aktenkundig seien, zielten darauf ab, dass der junge Mann sich verfolgt fühle, objektive Hinweise, dass ihm jemand Böses wollte, gebe es aber nicht. Er lebe dieses Gefühl des Verfolgtseins, und er habe die Polizei als Schiedsrichter bei Streit herangezogen oder heranziehen wollen – sechsmal in der Brandnacht. Die Beamten seien zunächst nicht auf ihn eingegangen, sie seien erst gekommen, als der Nachbar sie gerufen habe, und dann hätten sie ihm nicht geholfen, sondern ihn gemaßregelt.

Eine dritte Person schloss das Gericht aus: Sie müsse ortskundig gewesen sein, die Zeit abgepasst haben, willens, Unrecht zu tun, die Haustür aufzubrechen, auf leisen Sohlen durchs Treppenhaus zu gehen, die Flurtür zu öffnen und den Brand zu legen – alles in 20 Minuten. Das halte das Gericht »für absolut ausgeschlossen«. Nach den Brandspuren schließe man auch einen technischen Defekt aus. Das Feuer habe sich innerhalb kurzer Zeit stark ausgebreitet, das deute nicht auf einen Schwelbrand hin. Funkenflug durch einen Kurzschluss komme nicht in Frage – das Licht im Flur habe bei der Flucht der Bewohner noch gebrannt. Vielmehr gehe das Gericht von Frust als Motiv aus – die technischen Möglichkeiten, den Brand zu legen, habe der Angeklagte gehabt. Er habe die Kartons zielgerichtet angesteckt, um Ärger zu machen.

Man gehe weiter davon aus, dass ihm die sittliche und geistige Reife eines Erwachsenen fehle. Somit sei er nach Jugendstrafrecht zu behandeln. Schädliche Neigungen und Schwere der Schuld sah das Gericht als gegeben an. Ebenso gehe man von charakterlichen und erzieherischen Defiziten aus: Der Angeklagte lehne jedes Hilfsangebot ab, lebe in den Tag hinein. Die Jugendstrafe solle die Möglichkeit geben, erzieherisch auf ihn einzuwirken – entsprechend lang müsse sie sein, wolle man den Angeklagten auf den Weg bringen. Er hoffe, so Döhrel, dass der 21-Jährige am Ende mit Schulabschluss und Ausbildung dastehe und erstmals für sich und für sein neugeborenes Kind sorgen könne. Er stehe in der Verpflichtung, dass es vernünftig aufwachsen könne, in finanziell und sozial gesicherten Verhältnissen. Da der Angeklagte über kein Einkommen verfüge, sehe man davon ab, ihm die Verfahrenskosten anzulasten.

Die Verteidigung hat die Möglichkeit, in den kommenden Tagen Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen.ek

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