Zwei Kompositionen fügen sich zu einem Ganzen

Musikalisches Neuland: Tango-Messe in der Münsterkirche / Viel Applaus für die Ausführenden / Intonationssichere Gemeinschaft

Einbeck. »Misa Tango«, die »Tango-Messe« – der südamerikanische Tanz aus den »Hafenvierteln und Vorstädten«, den Gebieten, in denen »Arbeitslosigkeit und Kleinkriminalität das Leben bestimmen«, und der »in der Oberschicht als Ausdruck von Verkommenheit und Verarmung« galt – so heißt es im Programmblatt – der erst im 20. Jahrhundert sein negatives Image ablegen konnte und seit 2009 zum »immateriellen Erbe der Menschheit der UNESCO« gehört, passt dieser Tanz zu der altehrwürdigen Gottesdienstform der »Messe«? Luis Enriquez Bacalov (geboren 1933), ein argentinischer Komponist, der »zu zahlreichen Italowestern und Fernsehproduktionen« die Musik geschrieben hat und in diesem Bereich einen »Oscar« erhalten hat, hat diese beiden unterschiedlichen Komponenten zu einer Einheit verbunden, und seine »Misa Tango« hat seit ihrer Uraufführung in Rom im Jahre 2000 in zahlreichen Ländern Aufführungen erlebt.

Einbeck (D.A.). Am vergangenen Wochenende erklang dieses Werk am Sonnabend in Seesen und am Sonntag in der Münsterkirche. Die Ausführenden waren: Die Seesener Andreas-Kantorei (Leitung Andreas Pasemann, der auch die Seesener Aufführung dirigierte) und die Kantorei St. Alexandri; beide Kantoreien hatten zusammen etwa 110 Sängerinnen und Sänger; sie waren eine sorgfältig vorbereitete und intonationssichere Gemeinschaft. Weiter wirkten mit Sarah Frede vom Staatstheater Braunschweig (Sopran) und der aus der Türkei stammende Orhan Yildiz – auch er zurzeit in Braunschweig am Theater (Bariton); als Soloinstrument war ein Bandoneon eingesetzt, eine Sonderform des Akkordeons, das als unverzichtbares Instrument zum Tango gehört (Bettina Hartl). Das Staatsorchester Braunschweig bot in seiner großen Besetzung einen volltönenden Klang, der für den im Forte klangmächtigen Chor den passenden, raumfüllenden Hintergrund bot. Die Leitung hatte Kreiskantorin Ulrike Hastedt.

Verhalten setzten der Chor, das Orchester und das Bandoneon mit dem Spanisch gesungenen »Kyrie« ein, die kräftige Baritonstimme und der klare Sopran übernehmen den Text, die Instrumente bringen ein ruhiges Zwischenspiel, der Chor folgt und in ganz verhaltenem Dur-Akkord verklingt der Satz, das »Herr, erbarme dich«. Ein mächtiges, stark rhythmusbetontes »Gloria« folgt, und im »Credo« wird in der instrumentalen Komponente der Tango-Rhythmus besonders deutlich. In ähnlicher Weise schließen sich auch die folgenden Sätze »Sanctus« und »Agnus Dei« an, und in einem versöhnlich-ruhigen Dur-Ende klingt das »da nos la paz – gib uns Frieden« aus.Sollte etwas hervorgehoben werden, könnte man den Beginn des »Agnus Dei« nennen, über dessen beginnendem Orchesterklang sich die Solostimmen, zunächst in tiefer Lage, erheben. Dann werden nach einem eingefügten Bandoneon-Solo die Klänge durch den Chor zu beinahe raumsprengendem Fortissimo gesteigert. Oder das später als Zugabe wiederholte »Credo«, in dem der Komponist die »Rhythmusgruppe Orchester« deutlich dem Chor gegenüber stellt.

Für die meisten Zuhörer in der fast bis auf den letzten Platz besetzten Kirche dürfte diese Messe musikalisches Neuland gewesen sein; einiges mochte vertraut klingen, anderes für an Bach, Mozart oder Brahms gewöhnte Besucher ungewohnt. Doch der reiche Beifall konnte zeigen, dass Luis Bacalovs Komposition »ankam«.

Einleitung in das Konzert war Mendelssohns fünfte Sinfonie, die »Reformations-Symphonie«. Nach einem choralartigen, bläserbetonten Einleitungssatz, in dem der Komponist das vielen bekannte und auch von Wagner im »Parsifal« leitmotivisch benutzte »Dresdener Amen« mehrfach anklingen lässt, nach einem lebhaften Satz im vollen Orchesterklang, einem tänzerisch wiegenden Zwischenspiel im Walzertakt und einem Tonbild von dunkel-melancholischem Charakter folgt der zunächst einstimmig mit der Melodie »Ein feste Burg ist unser Gott« beginnende letzte Satz, der der Sinfonie ihren Namen gegeben hat. Diese Melodie klingt in Teilen mehrfach auf, und in einem von der Tuba und den Pauken volltönend unterlegten bläserbetonten Choral endet dieser beeindruckende Satz.Beide, zunächst so unterschiedlich erscheinenden Kompositionen konnten sich doch, wie der reiche Beifall am Schluss zeigen mochte, zu einem Ganzen fügen.oh