Bedeutende Entwicklung angestoßen

Osterempfang: Professor Michael Sauthoff spricht über staatliches Recht und kirchliches Selbstverständnis

Beim Osterempfang in der Kirche St. Marien sprach Professor Dr. Michael Saut-hoff über den Einfluss der Reformation auf staatliches Recht.

Beim traditionellen Osterempfang der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Einbeck und der Superintendenten des Kirchenkreises Leine-Solling richtete Professor Michael Sauthoff, Präsident des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg Vorpommern sowie des Landes-Finanz­gerichts,   den Blick auf »Staatliches Recht und kirchliches Selbstverständnis«. Damit servierte er den Zuhörenden Impressionen nach 500 Jahren Reformation in Deutschland. Der Jurist erklärte, dass der Durchgang durch neuere staatskirchenrechtliche Entscheidungen zeige, dass  Staatskirchenrecht in Deutschland heute Reforma­tionsfolgerecht sei.

Einbeck. Der Vortrag des Juristen, der seit mehr als 20 Jahren als Richter arbeitet und in verwandtschaftlicher Beziehung zum ehemaligen Schuhhaus Sauthoff in Einbeck steht, gliederte sich in drei Teile. Zunächst skizzierte er die gegenwärtige verfassungsrechtliche Lage des Verhältnisses von Staat und Religion, es folgten Überlegungen, inwieweit die Gedanken Luthers und der Reformation Auswirkungen auf den heutigen Befund des Staatskirchenrechts in Deutschland haben. Abschlie- ßend ging Sauthoff auf einzelne aktuelle Fragen im Verhältnis des Religionsrechts und der Verfassung ein.

Mit historischen, aber auch verfassungsgeschichtlichen Werkzeugen analysierte Sauthoff die Aussagen Martin Luthers und ordnete sie in den zeitlichen Zusammenhang ein. Berücksichtigt wurden zudem die Weiterentwicklung der theologischen Interpretation der Texte Martin Luthers. Mit dem Prinzip »cuis regio, eius religio« des Augsburger Religionsfriedens 1555 wurde bestimmt, dass der jeweilige Landesherr die Konfession bestimmt und damit auch die Religionszugehörigkeit seiner Untertanen, zugleich wurde ihnen aber das Recht zugestanden, das Gebiet seines Landesherrn zu verlassen, um sich einem Landesherrn seiner Konfession zuzuwenden.

Damit sei die Wurzel des Rechts auf Freizügigkeit gelegt worden, so Sauthoff. Darin liege ein erster Ansatz zur Religionsfreiheit, der im Westfälischen Frieden von 1648 vertieft wurde. Die wesentlichen nächsten Schritte allerdings waren die Französische Revolution, der Reichsdeputationshauptschluss 1803 und der Fall des landesherrlichen Kirchenregiments 1918.

Der Begriff der Toleranz sei von Luther in die deutsche Sprache eingeführt worden, fuhr Sauthoff fort. Indem die Reformation zu mehreren Konfessionen führte, wurde auch die Grundlage des Toleranzprinzips gelegt. Die beiden großen Konfessionen wurden zur gegenseitigen Akzeptanz verpflichtet. Der Toleranzgedanke gründe sich in der Überzeugung Luthers, dass der Mensch allein aufgrund seines Glaubens auf das Wohlwollen Gottes angewiesen sei. Damit konnte politische Herrschaft nicht mehr mit einer konfessionellen Glaubensleistung begründet werden.

Die sogenannte Zwei-Reiche-Lehre Martin Luthers dürfte mit dem Ersatz der tradierten bischöflichen Herrschaft hin zu der Entwicklung einer weltlichen Gewalt in den protestantischen Staaten zusammenhängen. Die Grundlage der Zwei-Reiche Lehre liege in Luthers Schrift »Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei« aus dem Jahre 1523. Konsequenz dieser Lehre war es, dass in den protestantischen Territorien auch die äußere Ordnung der Kirche der weltlichen Obrigkeit überlassen blieb. Es entstanden Landeskirchen, deren Vorbild noch heute in der protestantischen Kirchenverfassung zu erkennen ist.

Mit dieser Lehre verfolgte Luther zwei Ziele: Er wollte die weltliche Gewalt von der Bevormundung durch die Geistlichen befreien. Umgekehrt wollte er auch die geistliche Gewalt von der Bevormundung durch die weltliche befreien. Die geistliche Gewalt regiere den Menschen durch das Wort Gottes, das von der Kirche verkündigt wird. Die institutionelle Funktion der Kirche finde ihre Grenzen dort, wo die innere Freiheit des Menschen beginne. Nach Luther habe die weltliche Obrigkeit lediglich eine militärische oder polizeiliche Aufgabe gehabt.

Sie sollte den inneren und äußeren Frieden sichern. Später habe Luther auch der weltlichen Obrigkeit die Sorgepflicht für die Geltung der wahren Gottesverehrung übertragen. In dieser Lehre sei die prinzipielle Akzeptanz der weltanschaulichen Neutralität des Staats begründet. Dadurch, dass im weltlichen Bereich die alleinige Herrschaft des Bischofs weg fiel und aufgrund der Zwei-Reiche Lehre, sei die weltliche Herrschaft veranlasst gewesen, eine eigene Gesetzgebung zu schaffen. Hierin könne man die Anfänge einer modernen staatlichen Gesetzgebung sehen. Zugleich war damit verbunden, dass die Kirchen eine eigene Gesetzgebung begründeten.

Mit Hilfe gegenwärtiger staatskirchenrechtlichen Entscheidungen – beispielsweise zur Feiertagsregelung mit der »synchronen Taktung des sozialen Lebens«, zum Kopftuchstreit oder dem koedukativen Sportunterricht – zog der Referent den Schluss, dass obwohl die Gerichte sich nur selten auf die Geschichte der Staatskirchenrechts seit der Reformation beziehen, die Entwicklung, die Martin Luther und die übrigen Reformatoren angestoßen haben, bis heute bedeutsam sei. »Staatskirchenrecht in Deutschland ist Reformationsfolgerecht.«

Die Entwicklung bis hin zu den aktuellen Problemen zeige, dass die Fragen, welche die Ablösung der alleinigen Maßgeblichkeit der Papstkirche durch Luther ausgelöst haben, bis heute das Zusammenleben und damit auch das Verfassungsrecht prägten. Im Hinblick auf die neuen Herausforderungen, die Religionsgemeinschaften begründen, die dem christlich-abendländischen Fundament der Gesellschaft kritisch, ablehnend oder gar feindlich gegenüberstehen, werde es immer wieder eines Austarierens zwischen der Religionsfreiheit einerseits und den Anforderungen an den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Staates bedürfen.

Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich ein interessanter Dialog zwischen Referent und Auditorium zu verschiedenen Themen wie dem frühen Glockenläuten, dem Schächten, der Staatskirche oder zur Ausübung des Berufs des Religionslehrers. Für Musik von Telemann sorgten der Oboist Till Hieronymus aus Alfeld und Ulrike Hastedt an der Orgel. Zeit für intensive Gespräche gab es beim Imbiss, hergerichtet von der Gruppe »Leib & Seele«, und Luther-Bier der Einbecker Brauerei.sts